Schadrach im Feuerofen
Feuerblumen, kleine Flammenkelche, die an den Spitzen der Zweige sprießen; sie lösen sich und schweben herab, wirbeln durcheinander, kommen näher, berühren sich, sinken in ihre Körper ein. Schadrach beobachtet den Durchgang einer flammenden roten Blüte durch Katjas Oberkörper; sie kommt zwischen ihren Schultern wieder zum Vorschein, sinkt zu Boden, keimt und sprießt. Ein magerer Schößling wächst und geht in flammende Blüten auf. Sie lachen wie Kinder. Zusammen schweben sie über den Kontinent. Die Sandflächen der Gobi glitzern. Vor ihnen erstreckt sich die Große Mauer, eine sich windende steinerne Schlange, die über Berge und durch Täler kriecht.
»Nanu, das sind Nigger Jim und die kleine Nell!« ruft Chin Shi Huang Ti, der auf der Mauer steht. Er vollführt einen kleinen Freudentanz, schwenkt seinen schwarzseidenen Hut, läßt den langen Chinesenzopf herumfliegen.
»Chop-chop«, sagt Schadrach. »Kung po chi ding!«
»Wo ist der Ausgang?« fragt ihn Katja.
»Dort«, sagt der erste Kaiser. »Vorbei an den Ketten, über die Stacheln.«
Sie schweben durch das Tor. Auf der anderen Seite der Großen Mauer glitzern überflutete Reisfelder im rosigen Sonnenlicht. Frauen in schwarzen Pyjamas, ausladende Kulihüte auf den Köpfen, bewegen sich langsam durch knöcheltiefes Wasser, bücken sich, setzen Reispflanzen. Unsichtbare Chöre erfüllen die Luft mit anschwellenden Crescendos himmlischer Klänge. Katja greift in den fetten gelben Schlamm und bewirft ihn mit einer Handvoll davon. Klatsch! Er wirft zurück. Klatsch! Sie bepflastern einander damit, dann umarmen sie sich, schlüpfrig und schmutzig und naß. Was für ein schöner Schlamm! Sie lachen und toben, purzeln und wälzen sich, landen platschend im Reisfeld, und die Chinesenfrauen tanzen um sie herum. Katja Lindmans Beine umklammern seine Hüften. Ihre Schenkel sind wie Schraubzwingen. Sie zieht ihn zu sich in den Schlamm, wo sie sich wie brünstige Büffel paaren. Grunzend wälzen sie sich um und um. Fleisch klatscht auf Fleisch. Bauch an Bauch suhlen sie sich im Schlamm. Sehr zufriedenstellend. Er nimmt sein steifes Organ nicht als etwas wahr, was ihm angehört, sondern eher als ein unabhängiges Bindeglied, das mit schnellen Bewegungen zwischen ihren Körpern hin und her geht. Ohne einen Höhepunkt zu erreichen, stehen sie auf, baden, ziehen weiter nach New York. Ein heißer Wind bläst durch die Stadt der Wolkenkratzer. Konfettischauer gehen auf sie nieder; es prickelt und brennt. Jubelrufe der Bewohner. Alle haben hier Organzersetzung, aber man findet sich damit ab; niemand ist deswegen alarmiert. Die Körper der New Yorker sind durchsichtig, und Schadrach sieht die roten Verletzungen in ihnen, die Zonen von Gewebeauflösung und Zerfall, die Perforationen und Eiterungen von Eingeweiden, Lungen, Lebern, Nieren. Die Krankheit macht sich durch ausstrahlende Wellen elektromagnetischer Pulse bemerkbar, die immerfort auf seine Seele einhämmern. Diese Menschen sind halbverfault und voller Löcher, und doch sind sie glücklich, und warum sollten sie es nicht sein? Schadrach und Katja segeln die Fifth Avenue hinunter. Schadrachs Haut ist weiß, seine Lippen sind dünn, sein Haar ist glatt und lang; der Wind weht es ihm in die Stirn und nimmt ihm vorübergehend die Sicht, und als er die Strähnen aus dem Gesicht streift, sieht er, daß Katja jetzt schwarz ist. Sie hat eine platte, breite Nase, einen prachtvollen fettsteißigen Hintern, Quadratmeter von schokoladenbrauner Haut. Rubinrote Lippen, süßer als Wein.
Sie tanzen auf Schwertern. Sie tanzen auf Ananas. Er verkauft sie in die Sklaverei und löst sie mit seinem Erstgeborenen wieder aus.
»Sind wir tot?« fragt er sie. »Wirklich und wahrhaftig tot?«
»Mausetot.«
»Und das macht soviel Spaß?«
»Macht es dir Spaß?« fragt sie.
Sie sind in Mexiko. Es ist Frühling, die Kakteen und Frangipani blühen. Hohle, stachliggrüne Stangen, besetzt mit Büscheln gelber Blüten. Sie schlafwandeln durch Dickichte von Feigenkakteen. Der Szenenwechsel ist hektisch, und doch fühlt er sich ausgeruht. Er könnte die ganze Nacht Walzer tanzen. Beim Überqueren der Pyrenäen begegnen sie Sancho Pansa, einem gedrungenen, speckigen Burschen, der ihnen grünen Wein aus einer ledernen Bota anbietet und in schrilles Gekicher ausbricht, als sie sich bespritzen. Sancho leckt Wein von Katjas Brüsten. Sie gibt ihm einen Stoß, und er überschlägt sich mehrere Male. Schließlich folgen sie ihm nach Andorra.
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