Schadrach im Feuerofen
die wir für uns wählen, drücken wir nichts über unser inneres Wesen aus?«
»Nein«, sagt sie.
»Wie kannst du dessen so sicher sein?«
»Träume werden für uns ausgewählt. Von Fremden. Mehr weiß ich nicht, aber es ist eine Tatsache, daß die Frau in der Maske uns sagte, was wir träumen sollten. In groben Umrissen. Sie gab sozusagen die Tonart an.«
»Und wir haben keine Wahl, was den Inhalt betrifft?«
»In gewissem Sinne, ja. Ihre Instruktionen werden von unserem Empfindungsvermögen gefiltert, aber trotzdem…«
»Ist dein Traum immer der gleiche?«
»Im Inhalt oder in der Stimmung?«
»In der Stimmung.«
»Der Traum ist jedes Mal anders«, sagt sie. »Und doch ist die Stimmung immer die gleiche, denn auch der Tod ist immer gleich. Es geschieht jedes Mal etwas anderes, aber der Traum bringt einen am Ende immer in der gleichen Weise zum gleichen Ort.«
»Zum Ruhepunkt?«
»Man könnte es so nennen. Ja.«
»Und die Bedeutung dessen, was ich träumte…«
»Nein«, sagt sie. »Sprich nicht von Bedeutung. Der Traumtod hat nichts von der Bedeutung eines Orakels. Der Traum ist ohne Bedeutung.« Der Zug hat die Station erreicht und hält.
»Komm«, sagt Katja.
Sie gehen in ihre Wohnung, die im selben Gebäudeteil wie Nicki Crowfoots Wohnung ist, kleine, kärglich möblierte Räume, mit steifen, schweren Vorhängen. Wieder stehen sie nackt voreinander, und wieder fühlt er die überwältigende Anziehungskraft ihres dicken, stämmigen Körpers; er tritt steif auf sie zu, umarmt sie, bohrt die Fingerspitzen in das tiefe, weiche Fleisch ihrer Schultern und ihres Rückens. Aber er bringt es nicht über sich, diesen schreckenerregenden Mund zu küssen. Er denkt an die fröhlichen Paarungen, die er im Traumtod mit ihr hatte, im Reisfeld, und er zieht sie mit sich aufs Bett, doch obgleich er an ihren Brüsten herumknautscht und sich wieder und wieder an sie drängt, ist er von ihrer körperlichen Nähe völlig entmannt, hilflos und schlaff. Und nicht zum ersten Mal: ihre sporadischen Liebesabenteuer sind immer von solchen Schwierigkeiten gekennzeichnet, die er bei anderen Frauen selten erlebt. Katja läßt sich dadurch nicht entmutigen. Ruhig drückt sie ihn aufs Kissen zurück, beugt sich über ihn und macht sich mit dem Mund an die Arbeit, ihrem unheimlichen, grausamen scharfzahnigen Mund, und er fühlt die Feuchtigkeit und Wärme von Lippen und Zunge, und unter ihrer kundigen Zuwendung entspannt er sich, vergißt die Angst vor ihr und wird endlich steif. Geschickt schiebt sie sich über ihn – es ist ein Manöver, das sie offensichtlich häufig geübt hat – und rammt sich mit einem jähen Stoß abwärts, spießt sich an ihm auf. Sie kauert rittlings auf ihm, bauernstark, und schaukelt. Er sieht ihr Gesicht von den ersten Wellen der Ekstase verzerrt, mit geblähten Nasenflügeln, fest geschlossenen Augen, in wilder Grimasse gebleckten Zähnen; dann schließt er selbst die Augen und überläßt sich der Vereinigung. Eine erschreckende Energie durchströmt ihn. Sie reitet ihn, erhebt sich, daß kaum noch Kontakt zwischen ihnen ist und preßt sich wieder gegen seinen Körper, aber immer bleibt sie auf ihm, behält die Initiative. Er hat nichts dagegen. Sie windet sich, stößt und mahlt, und plötzlich richtet sie sich auf und bricht in heiseres Lachen aus; es ist ihr Signal, das weiß er, und er ergreift ihre Brüste und erreicht mit ihr den endgültigen Höhepunkt.
Danach schläft er ein, um sie beim Erwachen leise schluchzen zu hören. Wie seltsam, wie untypisch für sie! Er hat sich nie vorstellen können, daß Katja Lindman imstande sei, Tränen zu weinen. »Was ist los?«
Sie schüttelt den Kopf.
»Nun sag schon, was hast du?«
»Nichts. Bitte.«
»Komm schon. Was ist?«
Das Gesicht ins Kissen gedrückt, sagt sie mit dumpfer Stimme: »Ich fürchte für dich.«
»Warum? Weswegen?«
Sie dreht den Kopf und schaut ihn an. Ihr Mund sieht auf einmal überhaupt nicht bedrohlich aus. Es ist ein Kindermund. Sie hat Angst. »Katja?«
»Bitte, Schadrach.«
»Ich verstehe nicht.«
Sie sagt nichts und schüttelt den Kopf.
14
Mehr als eine Woche vergeht, bis Schadrach Nicki Crowfoot wiedersieht. Sie habe im Laboratorium sehr viel zu tun – Umstellungsprobleme beim Avatara-Projekt zur Persönlichkeitsverpflanzung, nachdem der Spenderkörper nicht mehr von Mangu gestellt werden kann –, und darum sei sie abends zu müde, um Gesellschaft zu suchen. Aber er argwöhnt, daß sie ihn meidet. Nicki
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