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Schadrach im Feuerofen

Schadrach im Feuerofen

Titel: Schadrach im Feuerofen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Ihnen zu Ehren werden Gedenkmünzen von hohem Nennwert geprägt.
    »Ich dachte, der Tod würde eine ernstere Sache sein«, sagt Schadrach.
    »Ist er auch.«
    Als Tote können sie gehen, wohin sie wollen, und sie tun es. Aber die Reise ist nichtig und eitel, und das Essen beim Bankett ist nur gesponnene Luft, weniger süß als Zuckerwatte. Er verlangt nach mehr Substanz, und die Bediensteten bringen ihm Steine. Er ist wieder schwarz, schwarz ist auch Dschingis Khan II. Mao, der zehn Meter über ihm auf einem Thron aus mattschimmernder Jade sitzt. Cifolia, Buckmaster, Avogadro und Crowfoot sind da, und auch sie sind schwarz. Mangu ist der schwärzeste von allen. Aber das Schwarz ihrer Häute ist kein Negerschwarz, kein afrikanisches Schwarz, es ist Ebenholzschwarz, die Farbe des Weltraums. Sie sehen wie Wesen von einem anderen Stern aus. Schadrach wandert unter ihnen umher, klatscht in die Hände, begrüßt sie, aber niemand scheint ihn zu beachten. Sie sprechen Niggermongolisch untereinander, sie lachen und singen, schunkeln und hüpfen. Cifolia spielt Gitarre, Buckmaster Leier, Avogadro Banjo.
    »So gut ist es eigentlich nicht«, sagt Schadrach zu Katja. »Wir machen uns was vor.«
    »Es hat seine Vorzüge.«
    »Ich kann ein mißtrauisches Gefühl nicht loswerden.«
    »Selbst als Toter kannst du dich nicht richtig gehen lassen, was?« Sie nimmt ihn am Handgelenk und zieht ihn mit sich, durch eine Wüste glitzernden Sandes, durch einen Fluß hüpfender, gischtender Wasser, durch ein Dickicht duftender Brombeerranken, in den Ozean, die große salzige Mutter, und sie liegen auf dem Rücken und blicken zur Sonne auf. Er ist völlig zur Ruhe gekommen.
    »Wie lange geht es so weiter?« fragt er.
    »Für immer.«
    »Wann endet es?«
    »Es hat kein Ende.«
    »Ist das wahr?«
    »Es liegt in der Natur der Sache. Der Tod ist nichts als eine Fortsetzung des Lebens auf anderer Ebene.«
    »Das glaube ich nicht. Dopo la morte, nulla.«
    »Wo sind wir dann jetzt?«
    »Wir träumen«, sagt er.
    »Einen und denselben Traum? Sei nicht albern.«
    Die stumpfen Nasen von Haien durchstoßen die glatte Meeresoberfläche. Zähnestarrende Rachen gähnen. Schadrach praktiziert Furchtlosigkeit. Diese Bestien können ihm nichts anhaben. Schließlich ist er tot. Auch ist er Doktor der Medizin. Er schluckt Ozeanwasser, bis der glänzende, sandige Meeresboden trockenliegt. Die gestrandeten Haie zappeln verdrießlich, schnellen ihre glatten Körper hierhin und dorthin, fressen Krabben und Seesterne. Schadrach lacht. Der Tod ist Wirklichkeit, der Tod ist eine ernste Sache. Aus dem Norden kommen kalte Winde, fegen die Flanken des Himalaya herab. Unerschrocken setzen sie ihren Aufstieg fort, krallen sich von Mauerhaken zu Mauerhaken die Felsen empor, stapfen im Gänsemarsch über Steilhänge und Schneefelder, vor sich die furchteinflößende Gipfelgestalt über dem Talschluß. Sie frieren in ihren Parkas; mit müden Armen schwingen sie die Eispickel, hauen Stufen ins Gletschereis; die Traggurte der Sauerstoffgeräte schneiden in die schmerzenden Schultern, doch sie steigen weiter, hinauf in jene schwindelerregenden Bereiche über siebentausend Meter, wo nur der spreizfüßige Schneemensch zu gehen wagt. Der Gipfel ist in Sicht. Ungeheure Abgründe gähnen, aber sie haben keinen Schrecken; wo mit Mauerhaken und Stufenschlagen nicht weiterzukommen ist, stoßen sich Schadrach und Katja einfach zu gewaltigen, himmelüberspannenden Sprüngen vom Fels ab. Es ist zu einfach. Er hatte nicht erwartet, daß das Totenreich ein so frivoler Ort sein würde. Doch nun dunkelt der Himmel, das Tempo wird langsam; er hört feierliche Musik, er erfährt eine Abschwächung des frenetischen Bewegungsdrangs, der ihn bis hierher getrieben hat, er kommt in einer ägyptischen Zeitlosigkeit zur Ruhe. Er ist eins mit Ptah und Osiris. Er ist ein Memnonskoloß am Ufer des mächtigen Stroms und läßt die Zeitalter an sich vorüberziehen. Katja zwinkert ihm zu, und er blickt in finsterer Mißbilligung zurück. Der Tod ist eine ernste Sache, kein Urlaub. Ja, jetzt hat er das rechte Zeitmaß gefunden. Die Aufgabe, tot zu sein, nimmt ihn ganz in Anspruch. Er bewegt sich nicht. Er hat den Kern des Ereignisses erreicht. Hie jacet. Nascentes morimur, finisque ab origine pendet. Mors omnia solvit. Es ist sehr still hier. Wenn sie überhaupt sprechen, dann sprechen sie in Sanskrit, aramäisch, sunnerisch oder Latein. Thoth selbst spricht Latein. Zweifellos auch andere Sprachen, doch warum

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