Schadrach im Feuerofen
verkaufte, und so weiter und so fort, bis das kostbare Stück nach langer Wanderung durch die Kollektionen verschiedener Ärzte zuletzt in den Wirren eines der Weltkriege des zwanzigsten Jahrhunderts verlorenging. Er weiß von ähnlichen, diverse Körperteile von Hitler, Stalin, Washington und Katharina der Großen betreffende Geschichten, und bedauert, daß er seinen gegenwärtigen Vertrauensposten zu spät erlangt hat, um eines der wirklich bedeutsamen Organe des Vorsitzenden für seine Sammlung zu gewinnen – vielleicht eine Niere, oder einen Lungenflügel, die Leber, die Bauchspeicheldrüse –, aber all diese Organe waren lange vor Schadrachs Zeit entnommen und durch verpflanzte Fremdorgane ersetzt worden, in einigen Fällen sogar mehrere Male. Schadrach sieht nicht viel Wert darin, des Vorsitzenden vierte Leber in seiner Kollektion aufzubewahren, wenngleich ihm klar ist, daß diese zeitweiligen Bestandteile des großen Mannes bei weitem persönlichere Erinnerungsstücke sind als etwa die Hauspantoffeln oder die Armbanduhr. Aber er zieht das echte, ursprüngliche Gewebe vor, und ein Stück authentischer Bauchschlagader ist das Beste, was er zur Zeit erlangen kann.
Da ist das Aneurysma, groß und reif, drauf und dran, die Wand der Ader zu durchbrechen. Noch ein paar Tage, und es wäre vielleicht passiert, paff!, und mit dem alten Mann wäre es aus gewesen. Dann hätten er und Mangu ein gemeinsames Staatsbegräbnis erhalten. So wäre es unweigerlich gekommen, denkt Schadrach, wenn ich nicht diese Unregelmäßigkeit in den Kreislaufsignalen gefühlt und richtig eingeschätzt hätte. Also habe ich dem Vorsitzenden das Leben gerettet, nicht zum erstenmal, und seine Gesundheit ist wiederhergestellt. Fein. Möge er fünfhundert Jahre leben, und möge ich immer sein Leibarzt bleiben!
16
Allein in seinem Arbeitszimmer, umgeben von den Schätzen seiner medizinischen Bücher und alten Instrumente, und nun diesem Stück in Spiritus eingelegter Bauchschlagader, fühlt Schadrach sich auf eine behagliche Art und Weise eingegraben und in Sicherheit. Diese Avatara-Geschichte wird vorübergehen. Der Vorsitzende ist in Fragen der persönlichen Lebensführung konservativ; er wird an seinem eigenen Mongolenkörper festhalten, so lange er kann, mag die Verlockung noch so groß sein, in Schadrachs kräftige junge Gestalt zu schlüpfen. Darum hat Schadrach kein überstürztes Ende zu befürchten, und in den kommenden Monaten oder vielleicht Jahren kann er versuchen, die Fantasien und Wunschvorstellungen des alten Mannes völlig vom Projekt Avatara abzubringen und auf das Talos-Projekt zu lenken. Das würde Nicki Crowfoots Forschung zunichte machen, aber Avatara ist ethisch ohnedies fragwürdig, und in Anbetracht aller Umstände kann er sich deswegen nicht allzu schuldig fühlen.
Er gibt dem Spiritusglas mit der Aorta einen Ehrenplatz auf seinen Regalen. In späteren Jahrhunderten wird man den weißlich-schlaffen Schlauch vielleicht wie eine Art Reliquie verehren und nicht versäumen, bei der Gelegenheit des verdienstvollen Schadrach Mordechai zu gedenken, der dafür sorgte, daß dieser Schatz der Nachwelt erhalten wurde. Wer weiß? Vor einiger Zeit gab es ein Gerücht, demzufolge verschiedene Originalorgane des Vorsitzenden an unbekanntem Ort in Tiefkühlung verwahrt werden, um später einmal zur Duplizierung des Vorsitzenden mittels Zellkernverschmelzung zu dienen. Schadrach bezweifelt es. Wäre der alte Mann ernsthaft daran interessiert, ein Duplikat von sich selbst heranzuzüchten, so hätte er längst ein entsprechendes Forschungsprogramm eingeleitet und Mittel dafür bereitgestellt; aber soweit Schadrach weiß, geht auf diesem Gebiet nicht viel vor sich.
Schadrach Mordechai hat des öfteren daran gedacht, eine wissenschaftliche Monographie über seinen Patienten zu verfassen, eine vollständige medizinische Biographie, in der alle Organverpflanzungen, Eingriffe und Behandlungen beschrieben werden, die für die Langlebigkeit und vielleicht auch für die furchterregende Vitalität des Vorsitzenden verantwortlich sind. In der ganzen Fachliteratur würde es nichts Vergleichbares geben, nicht einmal die Abhandlung Beaumonts über Alexis St. Martins Verdauungstrakt, von Lord Morans Aufzeichnungen über Churchill gar nicht zu reden: hatte es jemals ein so umfassendes und langdauerndes medizinisches Programm mit dem Ziel gegeben, einen einzelnen Menschen gesund und am Leben zu erhalten?
Es gibt eine weitere, noch größere
Weitere Kostenlose Bücher