Schadrach im Feuerofen
meine Aufgabe sein, Avatara überflüssig zu machen, indem ich Talos rasch zur Perfektion entwickle. Für mich spricht manches dafür, daß der Vorsitzende tatsächlich das Talos-Prinzip bevorzugt. Ich glaube, es entspricht seiner besonderen Art von Paranoia, sich in eine Maschine übertragen zu lassen, eine unvergängliche, fehlerlos arbeitende Maschine. Schließlich wird eines Tages auch dein Körper verfallen und absterben, und das weiß er so gut wie jeder andere. Er weiß, daß dein Körper ihm vielleicht noch zwanzig oder dreißig gute Jahre geben kann und daß danach der ganze Verdruß von vorn anfangen wird: Organverpflanzungen, Medikamente, ständige chirurgische Eingriffe und was dergleichen mehr ist. Die Talos-Methode kann ihm alles das ersparen. Daher stellt Avatara für ihn nur eine Art Ersatzplan dar, eine Möglichkeit, auf die im Notfall zurückgegriffen wird, von der keinen Gebrauch machen zu müssen er jedoch hofft. Daher denkt er sich nichts dabei, wenn er Leute zu Spendern erwählt, die er schätzt; vielleicht glaubt er sogar, es sei für die Betreffenden eine Art Ehre. Ich sagte es schon zu Mangu, versuchte ihm klarzumachen, daß die Verwirklichung des Avatara-Programms keineswegs eine ausgemachte Sache sei, aber er…«
»Warum hast du mir davon erzählt, Katja?«
»Aus dem gleichen Grund, aus dem ich es Mangu erzählte.«
»Um das Avatara-Programm zu torpedieren?«
Aus ihren Augen blitzt ihn das alte Feuer an. »Sei nicht ekelhaft. Denkst du vielleicht, ich wolle dich dazu bringen, daß du auch aus dem Fenster springst?«
»Wozu erzählst du es mir dann?«
»Ich möchte, daß du auf der Hut bist, Schadrach. Du mußt wissen, in welcher Gefahr du dich jetzt befindest. Solange auch nur eine geringe Wahrscheinlichkeit besteht, daß mit der Avatara-Methode gearbeitet werden muß, bist du in Gefahr.«
»Aber was macht es dir aus? Gewissensbisse? Hast du Bedenken, mit Leuten Umgang zu pflegen, von denen du weißt, daß sie zur Vernichtung vorgesehen sind?«
»Das ist ein Teil davon«, sagt Katja ruhig. »Ich hasse es, eine Lüge zu leben.«
»Und was ist der Rest?«
»Ich liebe dich«, sagt sie.
Er starrt sie an. »Was?«
»Du denkst, ich sei solcher Gefühle nicht fähig? Ich sei nur gut zum Konstruieren von Automaten?«
»Das meinte ich nicht. Aber – du wirktest immer so kalt, so geschäftsmäßig, so nüchtern. Selbst wenn wir zusammen waren, fühlte ich nie eine innere Wärme von dir; nur körperliche Leidenschaft.«
»Du gehörtest Nicki. Es wäre für mich nur schmerzlich gewesen, hätte ich mich mit dir eingelassen. Abgesehen von den gelegentlichen Ausflügen nach Karakorum und einer Nummer dann und wann wolltest du nichts von mir wissen.«
»Und jetzt?«
»Liebst du sie noch immer? Sie hat dich verraten, mußt du wissen. Als sie hörte, daß der alte Mann dich für das Projekt verwenden will, ging sie zu ihm. Wahrscheinlich versuchte sie, ihn davon abzubringen – soviel sollten wir ihr zugute halten. Aber es gelang ihr nicht, und sie akzeptierte den Befehl. Ihre Karriere ist ihr wichtiger als dein Leben. Sie hätte zu dir gehen und sagen können, so sieht die Sache aus, der Vorsitzende will es so, aber ich bringe es nicht fertig, ich kann es nicht machen, also laß uns beide von diesem schrecklichen Ort verschwinden. Aber das tat sie nicht, oder sollte ich mich irren? Sie fing einfach an, sich von dir fernzuhalten. Vermutlich wegen ihrer Schuldgefühle. Nicht aus Liebe, sondern aus Scham.«
Schadrach schüttelt wie betäubt den Kopf. »Das alles kommt mir unwirklich vor, Katja.«
»Ich habe dir nichts als die Wahrheit gesagt.«
»Aber Nicki…«
»Fürchtet sich vor dem alten Mann. Wie wir alle uns vor ihm fürchten, wie die ganze Welt ihn fürchtet. Das ist das Maß ihrer Liebe zu dir; ihre Furcht vor diesem verrückten Alten ist größer. Ich hätte an ihrer Stelle vielleicht die gleiche Wahl getroffen. Aber es ist nicht mein Projekt. Ich stehe nicht vor der Wahl, dich zu verraten oder dem Vorsitzenden zu trotzen. Ich habe die Freiheit, hinter seinem Rücken zu dir zu gehen und dich zu warnen, damit du deine eigenen Entscheidungen treffen kannst. Aber es ist seltsam, nicht wahr? Die warmherzige, schöne, liebevolle Nicki ist mit dem Verrat an dir einverstanden. Und die kalte, rachsüchtige und häßliche Katja riskiert ihr Leben, um dich zu warnen.«
»Du bist nicht häßlich«, murmelt er.
Sie lacht. »Komm her«, sagt sie, setzt sich auf die Bettkante, zieht ihn
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