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Schadrach im Feuerofen

Schadrach im Feuerofen

Titel: Schadrach im Feuerofen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Revolutionsrates. Einige der vertrauten Gesichter fehlen, lassen sich von den Untergebenen vertreten, die nun gewichtig tun und vor Stolz beinahe platzen. Horthy, Ionigylakis, Eyuboglu, Lapostolle, Farinosa, Pariatore, Blount. Lauter subalterne Bürokraten. Feine Revolutionäre! Lapostolle wirft sich in die Brust; Farinosa zuckt ständig mit seiner langen Nase; Ionigylakis kann sich nicht konzentrieren, weil er ständig auf stoßen muß. Ich hätte nicht zulassen sollen, daß Ratsmitglieder sich vertreten lassen, schon gar nicht von solchen Typen; diese weißen Ausländer haben kein Feuer. Aber ich brauche meine alten Kämpfer anderswo. Draußen schneit es wieder. Am liebsten würde ich mir ein Pferd geben lassen und ausreiten, ohne Sattel, die Hufschläge lautlos in der weißen Weite, Mann und Pferd allein über endlose Steppe, eine Brotrinde für mich, ein Ziegenfell mit vergorener Stutenmilch, um unterwegs davon zu trinken… ja, ich bin noch immer jung, ich, der vor ihnen allen war, und sie sind alte Männer! Aber mein Leibarzt würde es natürlich nicht erlauben. Ich beherrsche die Welt, er beherrscht mich. Wie, wenn ich darauf bestünde? Muß ich diese gravitätischen Esel ertragen, wenn Neuschnee auf der Steppe liegt? Ihr Ärzte könnt eine funktionsunfähige Niere ersetzen, werde ich ihm sagen; sicherlich könnt ihr dann auch die erfrorene Nase eines alten Mannes reparieren. Ja, ich werde es tun. Ich werde dieser Langeweile entfliehen.
    Hatte ich vielleicht an so etwas gedacht, als ich die Zügel ergriff?
    Was hatte ich mir vorgestellt? Alles fiel in Stücke, und es war meine Aufgabe, aus dem Chaos eine neue Welt zu schaffen. Ich glaube, das war es. Wie verabscheute ich die Unordnung, die Verwirrung, das Durcheinander der Nachkriegszeit! Die sterbenden Menschen, die verwüsteten, entvölkerten Länder, der Verfall der revolutionären Moral! Horden verwilderter Menschen, die plündernd und mordend das Land durchstreiften, Hungersnöte, Versorgungsschwierigkeiten und Seuchen. Dazu kam der revolutionäre Kampf in anderen Weltteilen, der unterstützt, gelenkt und zum Sieg geführt werden mußte. Alle Einfachheit schien aus der Welt verschwunden, wohin man sah, stellten sich einem unüberwindlich scheinende Probleme entgegen. Ich liebe Einfachheit, eine straff organisierte Verwaltung, harmonische und klare Strukturen, eine Nation, eine Regierung, ein Gesetzbuch. Ich war dreiundsiebzig Jahre alt und stark. Die Zivilisation war Jahrtausende alt und schwach. Ich konnte das Chaos nicht ertragen. Ich bin überzeugt, daß all jene, die in der Weltgeschichte Großes leisteten und Staaten gründeten, mehr die Unordnung und das Chaos haßten, als daß sie die Macht an sich liebten. Napoleon, Attila, Alexander der Große, Dschingis Khan, Hitler – alle strebten sie nach Einfachheit und Vereinheitlichung. Sie hatten eine Vision von Ordnung und sahen keinen anderen Weg, diese Ordnung zu erreichen, als sie der Welt aufzuzwingen. Wie wir es taten. Natürlich scheiterten die meisten von ihnen und schufen mit ihrem Scheitern mehr Chaos, als sie zuvor hatten aus der Welt schaffen können. Hitler, zum Beispiel. Ich gehöre zu den wenigen, die nicht scheiterten; dennoch ringe ich bis heute um eine einfache, klar gegliederte Verwaltung, um Einheit im Großen wie im Kleinen. Zu diesem Zweck habe ich mich selbst zum Symbol der Einheit gemacht, zum Brennpunkt der ganzen Welt, zu dem Kristall, dessen Facetten das Bild der Welt zusammenfassen. Aber ach, Vater Dschingis, diese Plenarsitzungen, diese endlosen Vorträge, diese Dungfliegen! Vater Dschingis, würdest du müßig sitzen und einem Pariatore und einem Blount zuhören, während du von einem schnellen Pferd und eisig pfeifendem Wind träumtest? Ach! War es dies, wofür ich es auf mich nahm, Ordnung in das Chaos der zerfallenden, verfaulenden Zivilisation zu bringen?
     
    Schadrach steht auf und reckt sich. Er kann nicht länger hier herumsitzen und seinen Tagträumen nachhängen; er hat Verpflichtungen, die er nicht vernachlässigen darf. Zunächst muß er die Krankenakte des Vorsitzenden um einen präzisen Bericht über die heutige Aorta-Transplantation ergänzen, wozu er eine Unmenge gespeicherter Informationen und Daten sichten und aus dieser Masse die bedeutsamen Umrisse eines brauchbaren medizinischen Profils herausschälen muß. Also an die Arbeit. Er setzt sich an den Computeranschluß und fordert das Datenmaterial über die Operation dieses Morgens an. Doch während er

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