Schäfers Qualen
einer von den beiden einmal längere Zeit nicht da gewesen?“, setzte Schäfer schnell nach, nachdem das Schnapsglas vor ihm abgestellt worden war.
Keiner der Umstehenden konnte ihm darauf Antwort geben. Doch Rohrschacher hatte den Hintergrund der Frage verstanden. „Du meinst, weil sonst einer von hier ihn umgebracht hat?“
Schäfer trank seinen Schnaps, löschte das Brennen im Hals gleich mit einem großen Schluck Bier und zuckte mit den Schultern. „Wer sonst?“, schaute er in die Runde und wusste, dass es jetzt kompliziert werden könnte.
„Die haben beide viele Leute gekannt“, meinte einer, „als Skilehrer früher, wenn du nicht ganz dumm gewesen bist, hast schon gute Beziehungen aufbauen können. Waren viele reiche Leute da. Skilehrer sind damals ja auch normale Leute geworden. Also, ich meine, das war ein angesehener Beruf, nicht so ein Studentenjob oder wie die Animateure halt. Der Krassnitzer und der Steiner, die haben ein Gespür gehabt fürs Geschäft. Solche Leute finden sich, da kann der eine ruhig Skilehrer sein und der andere Millionär aus Amerika, verstehst du.“
Schäfer nickte und kritzelte mit seinem Bleistift „Skilehrer“ und „Reiche“ auf den Bierdeckel. „Wer hat denn damals die Skischule gehabt, wo die beiden gearbeitet haben?“
„Jetzt lass mich nachdenken … das wird der Hinterholzer gewesen sein. Freilich, ich kann mich ja noch an die Anoraks erinnern, mit denen sie durch die Stadt gegangen sind. Mit den Anoraks, da bist angekommen bei den Frauen, das kannst glauben.“
Schäfer versuchte ein kumpelhaftes Lächeln, das jedoch wegen seiner mittlerweile starken Trunkenheit zu einem debilen Grinsen geriet. „Ja ja, die Frauen“, sagte er in die Runde und gab dem Schankburschen zu verstehen, ihnen noch eine Runde Schnaps zu bringen. Aber diesmal vom Vogelbeer.
10
Schäfer wurde von einem lauten, brummenden Geräusch geweckt. Mit dem Gesicht lag er auf einem kalten roten Steinboden. Er wollte aufstehen, musste jedoch feststellen, dass er sich nicht bewegen konnte. Er steckte in einer Hülle aus schwerem und muffig riechendem Stoff. Eine leichte Panik erfasste ihn. Mit Händen und Füßen begann er gegen sein Gefängnis anzukämpfen. Da hörte das monotone Brummgeräusch auf und er sah ein Paar weiße Gesundheitssandalen vor sich. Eine Frauengestalt ging neben ihm auf die Knie und rollte ihn aus seinem Gefängnis, während sie in einer slawischen Sprache etwas vor sich hin brummte, das Schäfer als Flüche deutete. Nachdem sie ihn befreit hatte, richtete er sich auf und schaute sich um. Er befand sich auf dem Gang vor seinem Hotelzimmer, neben ihm eine Putzfrau mit einem Ungetüm von Staubsauger. Sein Kokon war ein schwerer roter Läufer, der gestern noch den Steinboden abgedeckt hatte. Bruchstücke von Erinnerung: die Sperrstunde, die Rückkehr ins Hotel, der Schlüssel, den er nicht finden konnte.
„Verdammt, Schäfer“, sagte er zu sich selbst, „so kannst du dich als Polizist nicht benehmen, nicht einmal hier.“
Er stand auf und bemerkte, dass er keine Schuhe anhatte. Die Suche nach seinem Zimmerschlüssel war auch diesmal erfolglos. Er griff in seine Jacketttasche, fingerte einen zerknitterten Geldschein heraus und gab ihn seiner Befreierin mit der Bitte, ihm sein Zimmer aufzusperren. Etwas besänftigt ging sie zu ihrem Putzwagen, holte den Universalschlüsselbund und ging zu seiner Zimmertür, wobei sie immer wieder etwas wie „Musch, Musch, Musch“ murmelte, was Schäfer als „Männer, Männer, Männer“ interpretierte. Er wollte sie fragen, ob sie seine Schuhe gesehen hatte, doch die Gefahr, dass sie ihn missverstände und in gut geübter postjugoslawischer Erwartungshaltung glaubte, dass Schäfer sie des Diebstahls bezichtigte, hielt ihn davon ab.
Er bedankte sich und ging in sein Zimmer. Dort leerte er seine Hosen- und Jacketttaschen und legte den Inhalt neben seinen Laptop. Sein Telefon, ein paar Münzen, ein Bierdeckel, auf dem einzelne Wörter standen, eine Packung Zündhölzer, eine halbvolle Schachtel Zigaretten. Zum Glück war er ohne seine Dienstwaffe ausgegangen. Betrunkene Männer, die obendrein bewaffnet sind, neigen dazu, nach Sperrstunde mit ihren Saufkumpanen verlassene Plätze aufzusuchen, um auf Schrottautos, Fenster von Abbruchhäusern oder Ratten zu schießen – das wusste Schäfer noch von seiner Ausbildungszeit. Aber was war mit seinen Schuhen passiert? Er konnte sich daran erinnern, mit Rohrschacher und einem zweiten Mann das
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