Schäfers Qualen
Wirtshaus mehr oder weniger kurz nach der Sperrstunde verlassen zu haben. Zu diesem Zeitpunkt hatte er sie mit Sicherheit noch angehabt. Gegen die Einwände seiner Zechbrüder, die noch weitertrinken wollten, hatte er den Heimweg angetreten. Zwischen Hoteltür und Fahrstuhl hatte er sich darauf konzentriert, sich nichts von seiner Trunkenheit anmerken zu lassen – an diesen Kraftakt zur Wahrung seines Rufes meinte er sich ebenfalls zu erinnern. Dann hatte er wahrscheinlich den Zimmerschlüssel nicht gefunden. Und der eigenen Sicherheit wegen sein Nachtlager an Ort und Stelle aufgeschlagen? Er schämte sich. Was hatte ihn dazu getrieben, an einem einzigen Abend in Tirol mehr zu trinken als die letzten drei Monate zu Hause in Wien? Von wegen Grenzen kennen, brummte er halblaut vor sich hin und schüttelte den Kopf, als ob er die Schmerzen abschütteln könnte wie ein Hund das Wasser. Er zog sich aus und ging ins Bad. Eine heiß-kalte Dusche erschien ihm neben ihrer ernüchternden Wirkung als gerechte Strafe für seinen Exzess.
Nachdem er sich abgetrocknet und die Zähne geputzt hatte, zog er frische Kleidung und seine Trekkingschuhe an. In dem Zustand, in dem der sich befand, würde es das Beste sein, die nicht unbedingt notwendige Tatortbesichtigung am Karstein dennoch durchzuführen. Er hasste es, sich vergiftet zu fühlen, und eine schweißtreibende Bergtour würde ihm guttun. Da er nicht genau wusste, ob sich die Umstände seiner Nächtigung schon herumgesprochen hatten, beschloss er das Frühstücksbuffet zu meiden und stattdessen etwas im Supermarkt zu kaufen.
Mit zwei Thunfisch-Tramezzini, einem Topfenstrudel, einer Tafel Schokolade und einer Flasche Kombucha ging er zum Polizeiposten. Aufschnaiter ließ ihn ein und bot ihm gleich einen Kaffee an, was Schäfer dankbar annahm. Er setzte sich an einen freien Schreibtisch, begann mit seinem Frühstück und fragte ob es etwas Neues gäbe. Jöchl, der im Büro nebenan an seinem Computer saß, stand von seinem Schreibtisch auf und kam zu Schäfer herüber, der auf seine Frage eigentlich gar keine Antworten erwartet hatte.
„Krassnitzer hatte keinen Waffenpass. Außerdem hab ich gestern noch im Internet recherchiert. Mit dem Kreuzigen haben wahrscheinlich die Phönizier angefangen; danach war es in der ganzen antiken Welt ziemlich weit verbreitet. Im Römischen Reich hat man damit entlaufene oder aufständische Sklaven hingerichtet. Bei den Griechen war die Kreuzigung eine typische Strafe bei Eigentumsdelikten. Es hat ziemlich brutale Methoden gegeben, damit der am Kreuz so lange wie möglich lebt. Die sind dann erfroren oder verdurstet. Ich hab Ihnen alles in einem Bericht zusammengefasst, drucke ich Ihnen dann gleich aus.“
„Danke“, sah Schäfer von seiner Mahlzeit auf, „gibt’s eigentlich außer Jesus noch andere prominente Fälle für Kreuzigung?“
„Petrus und den heiligen Andreas und sicher noch genug andere Märtyrer.“
„Na, Heilige waren die beiden ja nicht gerade“, warf Kern ein, der gerade vom Streifendienst zurückkam und die letzten beiden Sätze gehört hatte.
„Weil er ihn verleugnet hat?“, fragte Jöchl irritiert.
„Wen?“
„Jesus, drei Mal.“
„Wer?“
„Petrus, bevor der Hahn gekräht hat.“
„Kern meint Krassnitzer und Steiner“, klärte Schäfer das Missverständnis auf und fragte Kern, ob er ihm ein Aspirin besorgen könne.
Der Inspektor kam wenig später mit einem Glas Wasser zurück und legte eine Tablette neben Schäfer. „Ist ein Thomapyrin“, sagte er und Schäfer fragte sich, ob es eine gute Idee gewesen war, das Frühstücksbuffet gegen den Posten zu tauschen.
„Hat schon wer mit Steiners Frau gesprochen?“, fragte er seine Kollegen und spülte die Schmerztablette hinunter.
„Die Kollegin Baumgartner ist gerade bei ihr“, stellte Aufschnaiter Schäfer einen Cappuccino hin, der aus einem römischen Café hätte sein können.
Schäfer, der den Kaffee schon wieder vergessen hatte, nahm dankbar einen Schluck und gab seinen Tagesplan bekannt: „Ich mache mich jetzt auf den Weg zum Karstein, um einen Eindruck davon zu bekommen, was genau da vorgefallen sein könnte. Am Abend will ich mich mit Hinterholzer, dem Skischulleiter, treffen. Kern, mach mir dafür bitte einen Termin. Ich komme auch gerne bei ihm vorbei. Gut, wir sehen uns also heute Nachmittag oder spätestens morgen früh. Wenn irgendwas ist, ruft mich an.“
Bevor er ins Hotel zurückkehrte, um schnell noch seine Mails abzurufen,
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