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Schäfers Qualen

Schäfers Qualen

Titel: Schäfers Qualen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Haderer
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kaufte er sich in einem Sportgeschäft einen kleinen Rucksack und eine kurze Hose. Um neue Schuhe würde er sich später kümmern, falls seine nicht mehr auftauchten.
    Mit einem freundlichen, aber bestimmten Gruß ging er an der Rezeptionistin vorbei und nahm anstelle des Aufzugs die Treppen, um sicherzugehen, dass er dort nichts verloren hatte – ohne Erfolg. In seinem Zimmer fuhr er den Laptop hoch und startete das Mailprogramm. Bergmann, Newsletter, Kamp, Tageszeitung, Bergmann, Lokalzeitung, Tageszeitung, Newsletter, Sex, Sex, Lokalzeitung, länger Sex, besserer Sex … Er löschte zuerst alle Spams und Newsletter und widmete sich anschließend den persönlichen Mails. Bergmann, der anfragte, wie es ginge und ob er etwas brauche. Gut, vielleicht später, danke. Journalisten, die sich erkundigten, ob es schon Neuigkeiten gäbe. Nein. Kamp. Sehr wichtig. Berg Heil.
    Nachdem Schäfer seine Korrespondenz erledigt hatte, fiel sein Blick auf den Bierdeckel, der neben dem Computer lag. Skilehrer, Gäste, Reiche, Jude, Zillertal, Nazis, Jesus, Kreuz, Hinterholzer, Selbstmord, Knochen, Baustelle, Strohmann und einige Fragezeichen. Er nahm das Stück Karton in die Hand und dachte nach. Hinterholzer hieß der Skischulleiter, bei dem Steiner angefangen hatte. Den würde er heute Abend befragen. Knochen. Er nahm sein Telefon und wählte die Nummer des Gerichtsmediziners, der sofort abhob.
    „Grüß dich. Ja … Bis Mittag … Kein Problem … Danke.“
    Nachdem er aufgelegt hatte, überlegte er, ob er seine Eltern anrufen sollte. Ach, das könnte er auch noch später tun. Er packte eine Flasche Mineralwasser aus der Minibar und die Tafel Schokolade aus dem Supermarkt in den Rucksack, legte ein T-Shirt und seine Regenjacke obenauf und zog seine neue Hose an.
    Als er aus dem Hotel trat, blendete ihn die Sonne so stark, dass er fast mit einer alten Frau zusammenstieß, deren ebenfalls alter Hund Schäfer sogleich böse anknurrte.
    „Was machst denn du da?“, bellte ihn die Alte an, bevor Schäfer noch Zeit für eine Entschuldigung gefunden hatte. Jetzt erkannte er die Frau: Barbara Moser, von jedem nur „Graffl-Wetti“ genannt, weil sie ein Altwarengeschäft besessen hatte, wo man von einer Walde-Skizze bis zu einem Blecheimer ohne Boden alles bekommen konnte. Sie musste schon über neunzig sein und weil sie schon in seiner Kindheit so gut wie blind gewesen war, wunderte er sich, dass sie ihn erkannt hatte – von der Möglichkeit einer Verwechslung ging er bei ihrem bestimmten Tonfall gar nicht erst aus.
    „Arbeiten. Ich bin bei der Polizei …“, begann er sich grundlos zu rechtfertigen.
    „Wegen den beiden Lumpen … bist ja selber kein Heiliger“, fuhr die Graffl-Wetti fort, Schäfer wie einen Schulbuben anzuherrschen, was ihr Hund mit stakkatoartigem, heiserem Bellen begleitete.
    „Wo warst du eigentlich gestern Nacht?“, beschloss Schäfer dem Wahnsinn ein Ende zu bereiten.
    Die Alte hielt kurz inne und murmelte Unverständliches vor sich hin, bevor sie ihm ihre fast gänzlich weißen Augen zudrehte und mitleidig sagte: „Johannes der Schäfer, jetzt ist es so weit, pass nur auf, pass nur auf, ist viel passiert, und jetzt ist er wieder da, ich wünsch ihm, dass er’s gut macht und ganz, hast auch viel mitgemacht, Johannes, pass auf, dass dir nix passiert, und schau deinen Eltern einmal nach, du Fratz. Komm Artos, der Major muss jetzt selber schauen, wo er bleibt.“
    Damit ließ sie Schäfer stehen und ging ihres Wegs, wie in Trance auf ihren Hund einflüsternd, der immer wieder zustimmend bellte.
    Schäfer gaben plötzlich die Knie nach und er setzte sich auf die Motorhaube des Autos, das hinter ihm stand. Sein Herz raste. Ein Anflug von Panik, nicht schlimm. Keine ventrikuläre Tachykardie, die ihn auf den Kitzbüheler Asphalt strecken würde, wo er vor den Augen sensationslüsterner Bustouristen sterben würde. Keine paroxysmale Tachykardie, die seinem Leben mit einem kardiogenen Schock ein unwürdiges Ende setzen würde. Er bildete mit beiden Händen einen Hohlraum, in den er atmete, um einer Hyperventilation entgegenzuwirken. In die Apotheke gehen und ein Beruhigungsmittel kaufen. Stattdessen zwickte er sich heftig in den Unterarm und wartete, bis das Adrenalin ihm wieder auf die Beine half. Raus aus der Stadt, erstmal raus hier.
    Zehn Minuten ging Schäfer so schnell es ihm möglich war – laufen wollte er vermeiden, um nicht unnötig aufzufallen. Er gelangte an den Stadtrand und bog von der Straße in

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