Schängels Schatten
oder?«
»Natürlich. Wie Jugendliche nun mal so sind.«
»Habt ihr oft am Rhein oder an der Mosel gesessen? Nachts?«
Mike schluckte. Bildete er sich das ein, oder wusste Anita … »Worüber hast du mit Carola gesprochen?«, fragte er.
»Nichts Besonderes.«
Sie fuhren am Justizgebäude vorbei und erreichten die Rheinstraße. Vor dem Restaurant La Gondola fand Mike wie durch ein Wunder einen Parkplatz.
Er stellte den Motor ab und sah Anita an. Er versuchte, in ihrem Gesicht zu lesen, doch da waren nur die beiden schwarzen Flecken ihrer Sonnenbrille. Ihr Mund war völlig ausdruckslos.
»Du bist eifersüchtig«, stammelte er. »Auf Carola. Das kann nicht wahr sein.«
Sie nahm die Brille ab. Ihr Blick war ernst und prüfend.
»Lass uns nach oben gehen«, sagte sie.
»Sag mir, was los ist. Ist es das, was ich gesagt habe?«
»Nein. Ich habe das Gefühl, es gibt ein Geheimnis zwischen euch beiden.«
»Und wenn schon.«
»Was ist es? Hat es was mit dem Denkmal zu tun?«
Mike verfluchte sich. Warum hatte er nicht einfach den Mund gehalten?
»Lass uns nicht darüber sprechen.«
»Ich will aber eine Antwort haben.«
»Später.«
»Entweder jetzt oder gar nicht.« Sie öffnete die Beifahrertür und stieg aus.
»Später«, rief Mike. »Was anderes kann ich dir nicht sagen. Lass mich heute Abend da hingehen. Danach erzähle ich dir alles.«
Sie beugte sich zu Mike hinunter. »Das reicht mir nicht. Wenn du mir nicht vertraust, mach’s gut.«
Damit drehte sie sich um und ging auf den Hauseingang zu.
Mike starrte ihr mit offenem Mund hinterher. Was war das jetzt? Sollte er hinterhergehen? Nein. Jedes Wort war zwecklos.
Anita verschwand aus seinem Blickfeld. Mike bemühte sich krampfhaft, ruhig zu bleiben. Er sah auf die Uhr: zwanzig nach sieben. Noch viel Zeit.
Zeit, um im Hotel nachzufragen, ob Richard Nair angerufen hatte. Zeit für ein Bad.
Und Zeit für ein bisschen Bach.
11
»Es ist keine Nachricht für Sie da, Herr Engel. Es tut mir Leid.« Iris Mayer, die hinter der Rezeptionstheke stand, lächelte ihn an. »Kann ich sonst noch was für Sie tun?«
Mike stützte sich auf die polierte Fläche und überlegte. Jetzt war es in Kalifornien schon heller Tag. Warum sollte er nicht versuchen, telefonisch Kontakt aufzunehmen?
Frau Mayer erklärte, dass er ein Gespräch in die USA von seinem Zimmer aus tätigen könnte.
Er bedankte sich und fuhr hinauf.
Oben war die Hitze etwas erträglicher. Er legte sich auf das frisch gemachte Bett und nahm sich die Computerausdrucke von Nairs Internetseite vor, die mittlerweile voller Eselsohren waren.
Er suchte eine Telefonnummer oder wenigstens eine Anschrift. Aber außer der E-Mail-Adresse gab es nirgends einen Hinweis, wie an Nair heranzukommen war.
Mike kam das komisch vor. Ein Unternehmen musste doch erreichbar sein. Wieder arbeitete er sich durch den Text, bis er an eine Stelle kam, die er bisher nicht richtig übersetzt hatte. Die Passage begann mit der Aufzählung von Kunden. Namen großer Studios. Paramount, Universal. Dann ging es um irgendwelche Marktanteile. Mike stolperte über die entscheidende Information. »Fantasy World« war vor ungefähr zwanzig Jahren verkauft worden. Das Unternehmen war in einen Konzern übergegangen, der sich »Picture World« nannte.
Vor zwanzig Jahren … Ob das Zufall war?
Mike ließ das Blatt sinken und blickte gedankenverloren vor sich hin. Was er hier ausgedruckt hatte, war nicht die offizielle Internet-Präsentation von Nairs Firma, sondern einfach nur die private Website eines alten Geschäftsmannes. Deswegen auch die Storys über den Zweiten Weltkrieg und all das. Nair, wahrscheinlich trotz seiner siebenundsiebzig Jahre sehr rüstig, lebte irgendwo als reicher Privatier und hatte Spaß daran, an seiner Website zu basteln.
Was nun?
Mike griff zum Telefon, das neben ihm auf dem Nachttisch stand, und wählte die Nummer der Rezeption.
»Rezeption Mayer?«, sagte eine freundliche Stimme.
»Hier Engel«, sagte er. »Frau Mayer, könnten Sie mir bitte die Nummer der Auslandsauskunft geben?«
*
Er ist müde, aber er kann sich noch nicht ausruhen. Er zwingt sich, kalt zu duschen. Dann zieht er sich frische Sachen an. Nicht die Uniform, die wird er erst später brauchen. Im Moment reicht es, wenn er wie ein Tourist auftritt und möglichst wenig auffällt.
Er geht die Treppe des kleinen Hotels hinunter und legt lächelnd den Schlüssel auf die Theke.
Die Hitze steht vor der Tür wie eine unsichtbare Wand. Ihn stört
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