Schängels Schatten
Anita an die Stelle, wo sich die meisten Pfadfinder herumtrieben. Wahrscheinlich versammelten sie sich vor einer größeren Wanderung.
Wo der Weg in den Wald führte, stand eine etwa drei Meter hohe Steinsäule, aus deren Spitze rechts und links zwei dunkle Metallblätter herausragten. Sie sahen auf den ersten Blick aus wie Flügel. Wenn man jedoch genau hinsah, dann erkannte man, dass es stilisierte Hände waren. Ein niedriger Zaun umgab das Denkmal.
»Das ist ein uralter Wegweiser«, erklärte Mike. »Die eine Hand zeigt ins Moseltal, die andere ins Rheintal.«
»Der Ritter Kuno hat den Wegweiser aufgestellt«, erklärte plötzlich eine dünne Stimme neben ihnen. Sie gehörte einem schmächtigen Kerlchen, dem die khakifarbene Kluft viel zu groß zu sein schien. Das rostfarbene’ Halstuch war so riesig wie ein Schal. Das ernste Gesicht war von Sommersprossen bedeckt, die Augen wurden von einer runden, offensichtlich ziemlich starken Brille vergrößert.
»Ritter Kuno?«, fragte Mike. »Wer ist das denn?«
»Die Geschichte steht auf dem kleinen Plakat da an dem Baum. Da geht’s um einen Zweikampf, der hier stattgefunden haben soll.«
»Aha«, sagte Mike und verfolgte mit den Augen die Richtung, in die der Junge mit ausgestrecktem Finger wies. Es stimmte. Da war etwas Weißes an einem Stamm befestigt.
»Danke«, sagte Mike.
»Kein Problem. Jeden Tag eine gute Tat«, sagte der Junge.
Anita kam hinter Mike her.
»Glaubst du, das hat was mit dem zu tun, was wir suchen?«, fragte sie, offensichtlich etwas verwirrt.
Mike wandte sich zur Seite und bemerkte, dass der Junge, der ein paar Schritte entfernt an dem Zaun stand, sie aufmerksam beobachtete.
»Keine Ahnung.« Mike überflog die Zeilen. Die Sage war in altertümlichem Deutsch aufgeschrieben. Es ging um einen gewissen Kuno, der an dieser Stelle nachts gegen einen anderen Ritter gekämpft hatte. Als er den Gegner an der Hand verwundet und damit besiegt hatte, stellte sich heraus, dass der andere seine eigene Frau war – als Mann verkleidet. Sie war die nächtlichen Zechgelage ihres Gatten leid und wollte ihm eine Lehre erteilen.
»Die hat sich was getraut«, sagte Anita anerkennend.
»Und trotzdem den Kürzeren gezogen«, stellte Mike fest. »Trotz ihrer Talente als Verwandlungskünstlerin. Die Frage ist, was wir jetzt machen.«
Sie gingen zu der Steinsäule zurück. Der Junge saß immer noch da. Er war ganz allein. »Suchen Sie was Bestimmtes?«, fragte er.
»Nichts Besonderes«, sagte Anita. »Sag mal, was treibt ihr hier eigentlich?«
»Wir sind im Zeltlager im Hunsrück. Heute haben wir unsere Jungpfadfinderprüfung.«
»Jungpfadfinder?«, fragte Mike.
»Ja«, sagte der Junge. »Wenn ich sie bestehe, kriege ich ein blaues Halstuch.«
Dann spielt vielleicht auch einer mit dir, dachte Mike. »Na dann, viel Glück.«
»Danke.«
»Wir sollten uns noch mal den Plan ansehen«, meinte Mike. Anita nickte. Sie ging erst ein Stück weiter, dann faltete sie die Karte auseinander.
»Wenn sie mit dem Zeichen gemeint hat, dass sich das Denkmal hier befindet, dann muss es doch auch irgendetwas geben, wo es sein könnte. Ein Haus. Oder wenigstens eine Lagerhalle.«
»Das ist der Stadtwald. Hier ist nichts. Gar nichts. Nur Bäume.«
Anita tastete auf dem Papier herum. »Ob der Filzstift etwas abgedeckt hat?« Sie nahm die Karte und hielt sie gegen das Licht. »Neulich habe ich einen Krimi gelesen, in dem der Detektiv eine entscheidende Spur übersehen hat – und das nur, weil er aus Versehen eine Eintragung auf einer Karte mit einem Kringel übermalt hat.« Sie seufzte. »Aber das scheint hier nicht der Fall zu sein. Vielleicht hatte sie eine Verabredung.«
»Aber wenn man sich mit jemandem trifft, dann malt man doch nicht so ein kompliziertes Symbol in die Karte. Irgendwas ist daran faul.«
»Vielleicht sehen wir das nicht genau genug«, sagte Anita. »Das Symbol ist hier in der Nähe eingezeichnet. Wir haben den Parkplatz Eiserne Hand gesehen und meinen, der entscheidende Hinweis müsste auf dem Parkplatz sein. Schauen wir doch mal, wo es genau eingezeichnet ist.« Sie fuhr mit dem Finger über das Papier. »Von hier aus geht ein Weg nach Südosten. Und da steht was Interessantes: Merkurtempel. Was soll das denn sein?«
»Du kennst dich aber nicht gut aus hier, oder?«
Anita zuckte mit den Schultern. »Ich bin erst spät nach Koblenz gekommen. Mit sechzehn. Und für Geschichte habe ich mich nie besonders interessiert.«
»Ich auch nicht. Den
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