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Schängels Schatten

Titel: Schängels Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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verwundert. Die Frau reißt sich zusammen. Sie runzelt die Augenbrauen. Dann leiert sie etwas herunter.
    Toast und Tee. Den Tee mit Zitrone. Die Morgenzeitung. Sie bricht ab. Konfitüre, fällt ihr noch ein.
    Er lässt sich nicht anmerken, dass er sie verstanden hat. Sie wartet kurz. Dann fragt sie, ob sie noch etwas für ihn tun kann.
    Er gibt sich Mühe, möglichst flach zu atmen, doch das gelingt ihm nicht. Die Rolle des Toten entgleitet ihm mit jedem Atemzug. Seine Brust unter dem Betttuch hebt und senkt sich gut sichtbar. Sein Atem rasselt. Er verliert die Kontrolle und wird unruhig.
    Ob sie noch etwas für ihn tun kann?, fragt sie wieder und deutet eine devote Verbeugung an.
    Da hält er das Spiel, das er selbst angefangen hat, nicht mehr aus.
    Als sie so nah ist, dass er den Geruch nach Küche und billiger Seife wahrnimmt, stützt er sich mit den Ellbogen ab und setzt sich auf. Den Eindruck von Mühe, den er erwecken will, muss er nicht spielen. Seine Arme sind steif. Sein linkes Bein kribbelt.
    Die Frau hat einen schönen Mund. Volle Lippen. Das muss er zugeben.
    Das Frühstück ist angerichtet, sagt sie.
    Der alte Mann nickt.
    Die Frau dreht sich erleichtert um und geht aus dem Zimmer.
    *
    Mike Engel spielte zum zweiten Mal hintereinander »My Way«.
    Beim ersten Mal hatte er sich für die ruhige Version entschieden. Klare Akkorde in der linken Hand, die Melodie in der rechten, das Ganze ohne große Verschnörkelungen. Er hatte den Refrain gesteigert und versucht, aus dem Schluss so viel Pathos wie möglich rauszuholen.
    Kurz vor Ende des Stückes hatte er seinen Blick von der Tastatur gehoben und in der Sitzecke eine Frau entdeckt, die ihn unverhohlen anstarrte und dabei hintergründig lächelte. Er hatte den letzten Ton – ein hohes, glockenhelles F – gespielt und an seinem Drink genippt, als die Frau aufstand, ihr kurzes, schwarzes Kleid glatt zog und auf hohen Hacken auf ihn zukam.
    Ihr braunes Haar war leicht gelockt. Mike bemerkte Falten um ihren Mund, als sie sich über die schwarz glänzende Fläche des Flügels beugte. Sein Blick fiel in ihr Dekolleté, über dem eine Perlenkette hing. Ihre Hände umfassten ein Whiskyglas. Mike zählte sechs goldene Ringe. »Spiel’s noch einmal, Sam«, sagte sie, offenbar bemüht, ihre Stimme dunkel und etwas verrucht klingen zu lassen.
    »Ich heiße Mike«, sagte Mike, der diesen Spruch oft zu hören bekam.
    »Dann eben Mike.« Die Frau nahm einen Schluck. Ihre Hand zitterte; sie war nicht mehr ganz nüchtern.
    An der Theke saßen ein paar Geschäftsleute in Anzügen und mit gelockerten Krawatten im Licht der Hängelampen. Sie rauchten Zigaretten, diskutierten über irgendwas und beachteten weder ihn noch die Musik noch die einsame Frau im Minikleid. Milan, der Barkeeper, hatte sich nach hinten zurückgezogen und polierte Gläser. Die Bar war heute ziemlich leer.
    Mike entschloss sich, das Stück dramatischer aufzubauen. Er legte eine dunkel grollende Bewegung in den Bass und unterstrich die Steigerungen durch ausufernde Arpeggien über die gesamte Tastatur. Während seine Finger arbeiteten, fragte er sich, was die Frau wohl als Nächstes hören wollte. »Feelings« wahrscheinlich. Das würde zu ihr passen.
    Im Moment war sie jedenfalls mit »My Way« ganz zufrieden. Sie wiegte verträumt den Kopf und nippte zwischendurch an ihrem Glas. Als Mike am Schlussakkord angekommen war und ihn gehörig hinauszögerte, hatte sie ausgetrunken.
    Sie stellte das Glas ab und klatschte langsam und etwas unbeholfen in die Hände. »Bravo«, sagte sie und versuchte, die Geschäftsleute von der Bar mit zu begeistern, doch die sahen nicht mal herüber.
    »Geben Sie mir Ihre Telefonnummer«, sagte Mike.
    Die Frau lächelte verschwörerisch. Mike registrierte dicken Lippenstift und überkronte Schneidezähne.
    »Die Zimmernummer wäre doch besser, oder?« Sie drängte sich weiter heran.
    »Auch gut«, sagte Mike.
    »Zwei, drei, sieben«, hauchte sie.
    Eigentlich waren dreistellige Kombinationen zu kurz, um daraus ein Thema zu machen, aber wenn man ein paar Noten wiederholte und die Harmonik oft wechselte …
    Mike spielte die drei Noten, und sie weiteten sich zu einer Melodie. Ganz nett.
    »Was ist das für ein Stück?«, fragte die Frau.
    Ihre Zimmernummer, hätte Mike am liebsten gesagt. »Es heißt ›Lovely Lady‹.« Den Titel hatte er sich gerade ausgedacht. »Sie haben mich dazu inspiriert.«
    Sie nickte lächelnd und ging langsam zur Sitzecke zurück. Dort ließ sie sich

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