Schafkopf
Nächten oft dort heraus. Gab es die Minen wirklich, oder war das alles nur ein Scherz? Kein Mensch konnte das zu diesem Zeitpunkt wissen – aber wehe, man nahm das Schreiben nicht ernst und es fand sich eine Mine, es trat vielleicht sogar jemand darauf …
Lautsprecherwagen fuhren rund um das Gelände herum auf und blökten ihre Botschaft ins schwer einsichtige Unterholz: »Hallo, hallo, hier spricht die Polizei. Bitte bewegen Sie sich nicht. Bleiben Sie ganz ruhig, wo Sie sind! Das Gelände ist vermint. Jeder Schritt kann für Sie tödlich sein!« Den Text hatte Friedo Behütuns diktiert. Was sollte ein Betrunkener, der dort vielleicht seinen Rausch ausschlief, denken, wenn diese Botschaft in seinen Schädel eindrang? Was ein jugendliches Liebespaar, was ein Hundehalter, dessen Töle im Unterholz schnupperte und vielleicht Mäuse fing oder Kaninchen jagte? Oder an einem Ast zerrte, den er seinem Herrchen bringen wollte, um ihn zu apportieren?
Eine Frau hatte sich über ihr Handy gemeldet. Sie sei mit dem Hund im Wald. Nicht weit von ihr entfernt liege ein Mann in einem Schlafsack. Er schnarche. Reagiere aber nicht. Ein geschulter Polizist übernahm das Gespräch.
Nach einer halben Stunde ließ Behütuns die Botschaft ändern. Er ging davon aus, dass alle, die sich in dem Wäldchen befanden, die erste Botschaft vernommen und verstanden hatten. »Hallo, hallo, hier spricht die Polizei«, hieß es jetzt, »Bitte haben Sie keine Angst! Wir werden Ihnen helfen. Bitte bewegen Sie sich nicht. Sie sind womöglich in Lebensgefahr. Solange Sie sich nicht von der Stelle bewegen, sind Sie sicher. Aber wir müssen wissen, wo Sie sind. Bitte rufen oder schreien Sie, damit wir Sie orten können. Bitte rufen Sie jetzt!«
Alle lauschten. Stille. Dort, wo Behütuns stand, konnte man nichts vernehmen. Von anderen Standorten der Polizei aber wurden Rufe gemeldet. Aus verschiedenen Stellen des Waldes. Drei? Oder vier? Eine tiefe, männliche Stimme, eine Frauenstimme, Hundegebell. Immerhin, die Durchsagen waren gehört und verstanden worden! Trotzdem entfuhr es Behütuns: »Verdammt! Da sind mehrere drin«. Er zündete sich eine Zigarette an und ging in die Hocke, hob den Kopf und lauschte. Er hörte nichts. Eine Karte wurde ihm gereicht, darauf waren mit groben Kreisen die Gebiete eingezeichnet, in denen man Menschen vermutete. Auch der Standort der Frau. Nein, sie seien nicht genauer zu orten, nur ungefähr. Sie seien auch nicht zu sehen, und man wisse nicht sicher, wie viele es wirklich sind. Einen Moment lang herrschte Stille. Unglaublich, wie still es hier sein konnte. »Keiner geht hinein!«, gab er Anweisung. »Keiner spielt hier den Helden!« Die Frau am Telefon weinte. Der Polizeipsychologe hatte zu tun.
Eine halbe Stunde später erübrigte sich jeder Versuch, mit den Menschen im Wald Kontakt aufzunehmen: Hubschrauber standen am Himmel, positionierten sich über dem Waldstück. Wärmebildkameras nahmen ihre Arbeit auf, es wurde unerträglich laut. Baumkronen tobten im Wind der Rotorblätter, Laub, Staub und Dreck wurden aufgewirbelt, Papiertüten flogen durch die Luft.
Bis zum Mittag hatte man drei Personen, eine davon mit Hund, aus dem Waldstück geholt. Alle aus der Luft, mit zum Teil gefährlich anmutenden Manövern. Die Männer an den Seilen der Hubschrauber hatten alles gegeben. Nicht leicht, zwischen Baumkronen und Unterholz. Nicht leicht, wenn man den Boden nicht berühren darf.
Und nicht leicht, so einen Hund zu halten.
Am frühen Nachmittag stellte Kommissar Behütuns seine Durchsagen ein. Um das gesamte Gelände hatte man Scheinwerfer installiert und die Grenzbereiche weiträumig ausgeleuchtet. Niemand durfte auch nur in die Nähe kommen, Wachmannschaften und Polizei patrouillierten mit dem Gewehr im Anschlag. Schaulustige drückten sich bis spät in die Nacht rund um das Gelände herum. Das sollte sich auch am Tag darauf nicht ändern.
Noch am Vormittag rückten Minensuchtrupps der Bundeswehr an, aber eigentlich waren es private. Von der Bundeswehr engagiert. Die Drecksarbeit lagerte man aus. Auch eine Frau war unter ihnen mit Erfahrungen aus dem Sudan. Die anderen kamen aus Mazedonien, Serbien, Kroatien. Unglaublich, wo überall auf der Welt diese Minen liegen. Zwei Tage detektierten die Trupps das Gelände, Quadratzentimeter für Quadratzentimeter wurde untersucht. 20 Minen wurden gefunden. Den Minensuchtrupps auf den Fersen war immer die Polizei. Jeden noch so kleinen Schnipsel hoben sie auf,
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