Schafkopf
er sich des Gedankens nicht erwehren, vielleicht der Presse eine Kopie dieses Pamphletes … Doch nein, das war nicht sein Stil. Das kam für ihn nicht einmal ansatzweise in Frage. Oder vielleicht doch? Nein! Er war jetzt aus der Sache draußen, und damit Schluss. Frustriert, ganz klar, demotiviert, auch wütend und enttäuscht. Doch war da nichts mehr zu machen. So war der Job. Es war ja nicht das erste Mal. Immer, wenn irgendetwas groß wurde oder es vielleicht auch nur werden konnte, ging so ein Fall nach München. Gewöhnliche Morde, Eifersucht, Erpressung, Schlägereien – das ließ man bei ihnen. Sobald ein Fall aber auch nur ansatzweise in die oberen Etagen wies, ins Geld, den Einfluss oder in die Industrie: schwupp, war er weg. Zutritt verboten, Schweigepflicht.
Behütuns brauchte jetzt ein Bier.
Ein Zusammenhang trat auf.
Nicht zu erklären, aber zu erzählen.
Peter Handke
27. Kapitel
Behütuns hatte viel getrunken, schlecht geschlafen, einen dicken Kopf.
Er hatte frei. Was tun? Er fuhr noch einmal nach Bubenreuth. Sollten die doch ermitteln, wie sie wollten. Er hatte noch so ein Gefühl und musste das mit sich klären. Irgendetwas war da noch, das er nicht verstanden hatte. Er hatte nur so eine Ahnung und wusste gleichzeitig nicht wovon. Eigentlich hatte er nicht viel dabei. Nur die drei Namen von Jaczek – die, die ihm die beiden alten Rentner beim Duisburgspiel im Ronhof genannt hatten. Namen inzwischen Verstorbener, die früher bei der Dynamit gearbeitet hatten und die vielleicht etwas mit der angeblich verschwundenen Kiste Minen vor beinahe 50 Jahren zu tun haben könnten. Es war eines jener Gerüchte unter den alten Mitarbeitern, die sich ewig hielten. Es gibt ja solche Geschichten. Die hier ging so – aber niemand wollte sich dafür verbürgen: Eines Nachts war ganz einfach eine Kiste Minen verschwunden. 24 Stück, zwei Duzend, das war die normale Packeinheit. Drei Männer hatten in dieser Nacht Wache gehabt in der Halle, die ganz normale Aufsicht, alles sehr zuverlässige Mitarbeiter. Keiner, kein Chef und kein Kollege, traute ihnen ernsthaft einen Diebstahl zu. Gleichzeitig aber gab es damals keine Anzeichen für einen Einbruch oder etwas ähnliches. Der Fall war schlicht ein Rätsel – und wurde noch rätselhafter, weil die Firmenleitung ihn klein hielt. Er war recht schnell vom Tisch. Das schien so gewollt – und sorgte natürlich für neue Gerüchte. Deshalb vermutete man auch in Mitarbeiterkreisen, dass andere dahinter standen. Der Sohn eines Chefs wurde verdächtigt, doch Gründe gab es dafür nicht. Der Fall blieb rätselhaft und wurde offiziell sehr schnell ad acta gelegt. Nur in den Köpfen war er noch präsent, zumindest bei den Alten. So war er diesen nach den Morden mit den Minen wieder eingefallen, und sie hatten Jaczek davon berichtet. Nicht, weil sie einen Verdacht hatten, sondern »nur so«, damit die Sache ihre Ordnung habe. Es könnte ja irgendwie doch sein … obwohl, nach so langer Zeit …
Bei der Dynamit hatte man generell abgestritten, dass jemals Minen verschwunden seien, und sei es vor noch so langer Zeit gewesen. Dort war nie etwas verschwunden, und das wäre auch gar nicht möglich gewesen. Wahrscheinlich logen sie nicht einmal und vertuschten auch nichts, sondern stellten ihre Behauptung besten Wissens und Gewissens auf.
Man hatte den Fall ja schon damals unter den Teppich gekehrt.
Albrecht Regenfuß, Georg Natzel, Leo Lorenz. Das waren die Namen, die Jaczek zugesteckt worden waren. Alle drei schon längst unter der Erde.
Behütuns war nicht sehr mutvoll, aber das musste er noch klären. Sonst konnte er den Fall für sich nicht abschließen. Für ihn war das eine Frage der Hygiene. Andere würden vielleicht sagen: des Berufsethos. Für Behütuns aber ging es tatsächlich um seine innere Reinheit. Das Berufsethos hatten ja jetzt andere zu behüten, und die wussten schon, wie man das richtig macht. Interessenwahrung war jetzt angesagt. Er selbst aber, so empfand er es, musste noch aufräumen in sich, er konnte keine Restmöbel von Fällen in sich herumstehen lassen und so tun, als wären sie nicht da. Man rannte sonst nur dagegen im Dunkeln und tat sich weh. Altlasten sind nicht gut. Was da war, war da, das konnte man nicht so einfach wegreden. Erst was weg war, war auch wirklich weg. So einfach war das für ihn.
Das Wirtshaus war auch dieses Mal wieder geöffnet. Die Stube wieder leer. Roch immer noch nach uraltem Zigarettenrauch und nach Heizöl, und die
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