Schalck-Golodkowski: Der Mann, der die DDR retten wollte (German Edition)
zumindest punktuell und für dringend benötigte Wirtschaftsgüter durchlässig zu machen, versucht der Kommunist Alfred Binz illegal zu besorgen, was legal nicht von den Westzonen in den Osten geliefert wird. Binz ist einer der Vizepräsidenten der im Februar 1948 auf Befehl der Sowjetischen Militäradministration gebildeten Deutschen Wirtschaftskommission (DWK). Diese Zentralverwaltung der Zone ist zuständig für Industrie, Finanzen, Verkehr, Handel und Versorgung, Arbeit und Sozialfürsorge, Land-und Forstwirtschaft, Brennstoffindustrie und Energie, Interzonen-und Außenhandel sowie für die Statistik. Chef dieser Institution ist Heinrich (»Heiner«) Rau. Die offizielle Bezeichnung von Binz lautet »Stellvertretender Leiter der Hauptverwaltung Materialversorgung in der DWK«.
Bei Gründung der DDR im Oktober 1949 geht die DWK in der Regierung auf oder in diese ein, die führenden Köpfe werden Minister oder Staatssekretäre. Alfred Binz heißt Staatssekretär für Materialversorgung (ab 1967 stellvertretender Minister für Materialwirtschaft). Als zentrales Organ des Ministerrates sichert der von Binz geleitete Bereich die »planmäßige materiell-technische Versorgung der Volkswirtschaft«.
Alfred Binz ist 1951 auch beteiligt an der Ausarbeitung des sogenannten Berliner Abkommens, das erstmals den Interzonenhandel regelt. Zur Vermeidung der Bezeichnung Deutsche Demokratische Republik wird der Vertrag nicht zwischen der DDR und der BRD geschlossen, sondern mit einer Treuhandstelle in Westberlin und zwischen den »Währungsgebieten der DM-West und der DM-Ost«, wie es im Dokument umschrieben wird. (Bekanntlich lautet die Währung der DDR bis 1964 ebenfalls Deutsche Mark, danach heißt sie für vier Jahre »Mark der Deutschen Notenbank [MdN], schließlich »Mark der DDR« [M].) Das Abkommen unterzeichnet für die DDR Josef Orlopp, Hauptabteilungsleiter im Ministerium für Innerdeutschen Handel, Außenhandel und Materialversorgung. Orlopp, vor 1933 in der SPD und Vorsitzender des ADGB, war bereits in der DWK für den Interzonen-und Außenhandel zuständig. (An den 1960 mit 72 Jahren an einem Herzinfarkt Verstorbenen erinnern in Berlin eine Straße und ein Grabstein in der Gedenkstätte der Sozialisten in Friedrichsfelde.)
Nach Alfred Binz übernimmt Julius (»Jule«) Balkow die schwierige Aufgabe, aus dem Westen jene Waren zu besorgen, die von CoCom indiziert worden sind oder aus anderen Gründen nicht geliefert werden. Mehr denn je versucht insbesondere die Bundesrepublik mit Boykott und Embargomaßnahmen die ungeliebte DDR in die Knie zu zwingen. Am 30. September 1960 beispielsweise kündigt Bonn über seine in Westberlin ansässige »Treuhandstelle für den Interzonenhandel« Knall auf Fall jenes Berliner Abkommen »einschließlich aller Zusatzvereinbarungen zum 31. Dezember 1960«.
»Die CSU-Minister Strauß und Stücklen und der CSU-Abgeordnete Dollinger waren dagegen gewesen, weil eine Kündigung allem widersprach, was bis dahin als vernünftig gegolten hatte«, schrieb dazu der
Spiegel
am 12. Oktober 1960. Die Maßnahme ist die kurzsichtige Reaktion auf die Ankündigung Moskaus nach dem Scheitern diesbezüglicher Gespräche mit den Westmächten, mit der DDR einen separaten Friedensvertrag zu schließen und Berlin als selbständige politische Einheit zu behandeln (»Drei-Staaten-Lösung«).
Diese nunmehr zweite Berlin-Krise – als die erste wurde die Blockade nebst »Luftbrücke« nach der separaten Währungsreform bezeichnet – wird am 13. August 1961 durch den »Mauerbau« gelöst werden, eine Entscheidung, auf die sich Chruschtschow und Kenndy bei ihrem Treffen im Juni 1961 in Wien grundsätzlich verständigten. Es sei ausschließlich Sache jeder Groß- und Führungsmacht, was sie in ihrem Einflussbereich unternehme, sofern nicht die Interessen der anderen Seite davon berührt würden, lautete die Formel. Das aber nur nebenbei.
Der
Spiegel
beruhigte in jenem Beitrag über die Aufkündigung des Berliner Abkommens seine mit Recht beunruhigten und mit den »Brüdern und Schwestern in der Zone« mitfühlenden Leser in der Bundesrepublik. »Selbst wenn vom 1. Januar 1961 an die westdeutschen Zöllner bei Helmstedt keine Tonne Ruhrstahl mehr nach Mitteldeutschland passieren ließen, stünden den Ostberliner Wirtschaftsplanern immer noch zahlreiche andere Nachschubwege offen.« Denn was hatte man in Hamburg in der Redaktion in Erfahrung gebracht? »Die Einkäufer des DDR-Handelsministers Rau haben in der
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