Schalck-Golodkowski: Der Mann, der die DDR retten wollte (German Edition)
Staatsreserven bei Geschäften an internationalen Warenterminbörsen und ersten erfolgreichen Spekulationen mit Kupfer auf dem Weltmarkt.
Der 1. Sekretär der SED-Kreisleitung des Ministeriums für Außenhandel, der Schalck seit 1962 ist, fühlt sich nicht nur verantwortlich für rund fünftausend Genossen im Ministerium, sondern auch für die wirtschaftliche Lage des Landes. Die Erfahrungen des Wirtschaftskrieges des Westens gegen die DDR bestimmen seine Haltung und Überzeugung. Schalck-Golodkowski nahm am VI. Parteitag der SED 1963 teil und stimmte mit den anderen Delegierten für ein Reformkonzept, das Neue Ökonomische System der Planung und Leitung. Es habe ihn motiviert, geradezu euphorisiert, wird Schalck-Golodkowski später einmal erklären.
Dieser Parteitag, vor allem aber jenes Programm der Modernisierung von Partei und Gesellschaft, signalisiert einen neuen Aufbruch. Durch die Schließung der Grenze 1961 kann die DDR nunmehr ohne direkte Störung von außen nach ihren Vorstellungen das Land und die Gesellschaft gestalten. Mit dem Sturz Chruschtschows 1964, der Ulbrichts Reformeifer nicht nur tolerierte, sondern auch stützte, ändert sich allerdings das Verhältnis zwischen Moskau und Berlin, das Vertrauen Breshnews zu Ulbricht ist nicht annähernd so groß wie das seines Vorgängers. Bereits auf dem 11. Plenum 1965 wird die von der Führungsmacht gewünschte Kurskorrektur der SED sichtbar. Jene ZK-Tagung wird später als »Kahlschlag-Plenum« postuliert, weil dort der ZK-Sekretär Erich Honecker gegen Künstler polemisierte, in der Folge werden etliche Filme, Theaterstücke, Bücher und Musikgruppen indiziert. Tatsächlich aber ist es ein Wirtschaftsplenum, auf dem die zweite Etappe des Neuen Ökonomischen Systems der Planung und Leitung beschlossen werden soll.
Obgleich sich das DDR-Reformkonzept an Lenins Neuer Ökonomischer Politik orientiert, sieht die Breshnew-Führung diesen Versuch der SED, sich merklich von dem sowjetischen Modell abzusetzen, sehr kritisch. Auf diesem Plenum wird also die erste öffentliche Attacke gegen Ulbrichts Pläne geritten, à la longue führt die Ablehnung seines Kurses zu Ulbrichts Sturz 1970/71.
Das aber liegt noch in der Ferne, als vor dem Hintergrund eines neuerlichen gesellschaftlichen Aufbruchs der Parteifunktionär und Außenhändler Alexander Schalck-Golodkowski Vorschläge macht, die schließlich zur Bildung des Bereichs Kommerzielle Koordinierung (KoKo) im Ministerium für Außenhandel am 1. April 1966 führen.
In gewisser Weise übernimmt Schalck-Golodkowski den Staffelstab von Alfred Binz und Julius Balkow, als er Chef von KoKo wird. Er teilt deren politische Überzeugung, er besitzt deren Kreativität und ihre Fantasie im Umgang mit Handelshemmnissen und Beschränkungen, ist gleich ihnen nicht nur Kaufmann, sondern auch politischer Unterhändler.
Aber hinsichtlich der Organisationsfähigkeit übertrifft er sie alle. Da ist Alexander Schalck-Golodkowski, sagen alle, die seine Vorgänger Binz und Balkow und ihn aus der Zusammenarbeit kennen, ein Genie.
Schalcks Grenzen
Der Untergang der DDR ist weder von einem Genie noch von einer Gruppe genialer Politiker zu verhindern gewesen. Und wenn das Gesamtresultat negativ ist, können folgerichtig auch nicht die einzelnen Posten positiv gewesen sein: Dann wären es schließlich auch die Abschlussbilanz und die DDR noch existent.
Darum kommt man nicht umhin – bevor auf einzelne Geschäftsfelder und erfolgreiches Handeln dieser in jeder Hinsicht überragenden Persönlichkeit eingegangen wird –, auch einen kritischen Blick auf ein Vierteljahrhundert KoKo und dessen Kopf zu werfen.
Schalcks Funktion stand in den 60er Jahren in der Geschäftstradition von Binz und Balkow. Das soll sich in den 70er Jahren ändern. Mit dem Sturz Ulbrichts endet definitiv auch dessen Reformkonzept. An die Stelle des Neuen Ökonomischen Systems tritt die Einheit von Wirtschafts-und Sozialpolitik, auf dem VIII. Parteitag der SED 1971 von Honecker als »Politik der Hauptaufgabe« formuliert. Haben bis dato Binz, Balkow und Schalck Devisen-und Import-Löcher gestopft, die durch Maßnahmen des Westens, Lieferengpässe des Ostens und eigene Problem akut entstanden, so wird KoKo zunehmend zu einer festen ökonomischen Größe, die systematisch und kontinuierlich Devisen erwirtschaften muss, um das planmäßig wachsende Defizit im Staatshaushalt auszugleichen. Daneben müssen Technik und Technologien beschafft werden, die legal von der
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