Schalck-Golodkowski: Der Mann, der die DDR retten wollte (German Edition)
Schreiben an die Autoren. Das AfNS habe damals »genauso im Fokus der Angriffe auf die DDR gestanden wie Schalck. In dieser Situation konnte ihm das AfNS kaum helfen.« Wäre die Verbindung publik geworden, »hätte das seine gefährliche Lage noch verschärft. Als Ausweg aus der gefährlichen Bedrohung Schalcks gab es die festgelegte Alternative, sich nach Wünsdorf in die Obhut der sowjetischen Streitkräfte zu begeben.«
Die zweite Entscheidung, die ihm insbesondere Weggefährten verübeln, war jene, dem Bundesnachrichtendienst Rede und Antwort gestanden zu haben. Unmut löste weniger die Tatsache aus,
dass
Schalck-Golodkowski mit den Geheimdienstlern zwei Monate, von Januar bis März 1990, plauderte, sondern
was
er denen erzählt hatte. So mancher der einstigen Genossen, dem später die Protokolle der rund dreißig Befragungen unter die Augen kamen, fühlte sich verraten, weil er der Meinung war, dass Schalck ohne jede Not Details offenbart habe, die er besser für sich behalten hätte.
Doch nicht nur, weil einige dieser – gewiss ungewollt – Belasteten inzwischen verstorben sind, muss man darüber nicht mehr reden. Es ist geschehen, die Milch vergossen und versickert, und darum sollte man nicht mehr viele Worte darüber verlieren. Auch hier gilt, was Brecht in der vierten Strophe seines berühmten Solidaritätsliedes dichtete: »Unsre Herrn, wer sie auch seien Sehen unsre Zwietracht gern Denn solang sie uns entzweien / Bleiben sie doch unsre Herrn.«
Die Gespräche mit dem BND erfolgten streng konspirativ, denn die DDR – sie existierte ja noch und sollte erst am 18. März 1990 abgewählt werden – ließ international nach dem geflüchteten Staatssekretär fanden, wobei es den Ermittlungsbehörden wohl weniger darum ging, ihn auch zu finden, sondern der eigenen Bevölkerung entschlossenes Handeln bei der Rechtsverfolgung zu demonstrieren. So hatte man denn den krebskranken Honecker am 29. Januar im Pyjama in der Berliner Charité verhaftet und in die Haftanstalt Rummelsburg überführt, wo bereits andere Ex-Politbüromitglieder einsaßen.
Schalck bekam in jener Zeit vom BND einen Treffpunkt in München genannt, den er mit einem Taxi ansteuerte. Dort stieg er in ein Fahrzeug des Bundesnachrichtendienstes, welches ihn in ein Hotel brachte. Am 22. Januar quartierte der BND das geflüchtete Ehepaar in einer Berghütte unweit der Grenze zu Österreich ein, das Domizil befand sich auf über tausend Meter Höhe auf dem Samerberg und war für den Autoverkehr gesperrt. Es erging Order an die beiden, weder die Fensterläden zu öffnen, weil ein Wanderweg vorüberführte, noch sich im Freien aufzuhalten. Das Quartier war alles andere als annehmbar. Es stand beim Eintreffen benutztes Geschirr herum, geheizt und gekocht wurde mit Kohle, und die Türen waren niedrig, dass Schalck den Kopf einziehen musste, um nicht gegen den Rahmen zu stoßen. Ein Telefon existierte zunächst auch nicht.
Dass sich der BRD-Auslandsnachrichtendienst für Schalck interessierte und nicht etwa der Verfassungsschutz verriet, dass die DDR für die Bundesrepublik das war, was die offizielle Politik immer bestritt: nämlich Ausland. Diese Feststellung erfüllte Schalck trotz der misslichen Lage, in der er sich befand, mit einer gewissen Genugtuung. Denn obgleich er sich anschickte, Bundesbürger zu werden, hing sein Herz unverändert an jenem Staat, für den er sich jahrzehntelang engagiert hatte. Er hatte zwar Adresse, Kleidung und Fahrzeugmarke gewechselt, nicht aber seine Gesinnung und Identität. Verloren gingen einzig seine Heimat und sein Vaterland. Und viele einstige Freunde und Kampfgefährten.
Die Gespräche mit dem BND, oft sechs bis acht Stunden lang, erfolgten in Schliersee oder Umgebung, und die sogenannte Einvernahme geschah wie in München: in Hotelräumen. Die Fragen kreisten um Wirtschaft, Finanzen und Politik der DDR, dort speziell zu deren aktuellem politischen Personal. Später drangen die Fragesteller – mal waren es zwei, mal drei, mitunter fast ein ganzes Dutzend, also sogenannte Experten – zum Bereich Kommerzielle Koordinierung vor. Sie verfügten einerseits über bemerkenswerte Kenntnisse, andererseits wussten sie mitunter wenig bis nichts. Man kann auch sagen: Sie verfügten über solides Halbwissen. Aber das verkauften sie mit ganzer Überzeugung.
Danach begannen sich die Geheimdienstler für Schalck-Golodkowskis Tätigkeit als Unterhändler zu interessieren. Auch hier offenbarten sie erhebliche Lücken. Sie
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