Schalck-Golodkowski: Der Mann, der die DDR retten wollte (German Edition)
einmal Hitler redete in so einem Ton.« Gorbatschow erschien wohl auch der Vergleich zu unpassend – er wurde aus dem Original gestrichen.
Kohl bot acht Milliarden D-Mark für Gorbatschows Zustimmung, dieser forderte das Doppelte. Am Ende bekam er zwölf Milliarden für die DDR und weitere drei Milliarden zinslosen Kredit. Kurz vorm Ende der DDR erklärte Gorbatschow gegenüber Genscher: »Wir brauchen finanzielle Soforthilfe.« Der Mann, der – wie er sich später rühmen sollte – angetreten war, den Kommunismus abzuschaffen, der Präsident einer Weltmacht, war sich der erniedrigenden Bettelei bewusst und bat darum Genscher um strengste Vertraulichkeit. »Wir wollen niemanden erschrecken«, zitierte ihn Stroilow aus den Originaldokumenten.
Große Geschichte endet bisweilen mit einem Treppenwitz.
Schalck und der BND
Es gibt zwei Entscheidungen im Leben des Alexander Schalck-Golodkowski, die, wenn sich die Zeit zurückstellen ließe, er möglicherweise anders treffen würde, als er es damals tat. Doch Geschichte ist Geschichte, sie lässt sich nicht mehr korrigieren. Und sie wird, wie es bei Marx im »18. Brumaire des Louis Bonaparte« heißt, von Menschen gemacht, »aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen«.
Die »unmittelbar vorgefundenen« Umstände Anfang Dezember 1989 waren Hysterie und Pogromstimmung auf den Straßen der DDR. Sie richteten sich gegen die Exponenten des sich auflösenden Staates und wurde befeuert durch täglich neue »Enthüllungen« in den Medien. Amtsmissbrauch und Privilegienwirtschaft hießen die Schlagworte, Denunziation und Rache für – eingebildete oder tatsächlich – erlittene Unbill und Ärger waren die Praxis. Nicht wenige, die aus Überzeugung den Staat trugen, legten Hand an sich wie etwa Wolfgang Junker, Schalcks langjähriger Freund und Ex-Bauminister, oder Generalleutnant Horst Böhm, Chef der Dresdner Bezirksverwaltung des MfS. Es gibt keine Statistik über die Suizide in jenen Monaten, aber ihre Zahl ist beachtlich, und sie widerspricht der These von der »friedlichen Revolution«.
Ja, es gab keinen Bürgerkrieg mit Waffen, wohl aber einen mit Worten, und die Leichen waren so real, wie es eben auch die unzähligen Rufmorde waren.
Dass in einer solchen Situation Personen wie Alexander Schalck-Golodkowski, die seit Jahrzehnten im ersten Schützengraben des Kalten Krieges kämpften, um ihr Leben bangten, konnte nicht überraschen. Verwundern allenfalls, dass erfahrene und trainierte Klassenkämpfer wie er davonrannten, im Wortsinne flüchteten. Nicht um die Seiten zu wechseln, sondern um das eigene Leben in Sicherheit zu bringen.
Da die Frage nur hypothetisch zu beantworten ist, was geschehen wäre, wäre er geblieben, muss auch ein Urteil im Sinne einer Verurteilung unterbleiben, dass er gegangen ist. Auch ein Oberst des MfS, einsneunzig groß und »gestandenes Mannsbild«, wie man in Bayern sagt, ist letztlich nur ein Mensch. Und alle, die ihn näher kennen, verweisen auf Schalcks Dünnhäutigkeit und Sensibilität.
Krenz erinnert sich der Politbürositzung nach der Volkskammersitzung am 1. Dezember. »Auf der Tagesordnung steht auch ein Bericht von Alexander Schalck über seine heutigen Beratungen mit Seiters in Bonn. Es geht um neue Vollmachten für die Vorbereitung meines und Modrows Treffen mit dem Bundeskanzler. Bevor wir zur Sache kommen, erlebe ich einen Alexander Schalck, wie ich ihn bisher nie gesehen habe. Bei allen Schwierigkeiten strahlte er stets Optimismus aus. Ihm fiel auch in aussichtslosen Situationen immer eine Lösung ein.
Nun aber sitzt er vor uns, ist verzweifelt und weint. Vor seinem Wohnhaus finden Demonstrationen statt. Es werden Morddrohungen gerufen, Gerüchte verbreitet. Der Artikel im
Spiegel
am 20. November wurde auch von den Volkskammerabgeordneten aufgenommen, als stünde darin die Wahrheit. Schalck könnte im Parlament Auskunft geben, doch dann würden geheime Staatsangelegenheiten, die es in jedem Land der Welt gibt, auch im Westen bekannt werden. Er und wir sind in einer aussichtslosen Situation.«
Für manchen gilt allein die Flucht als Verrat, und sie fürchten, wie etwa Wolfgang Schwanitz, dass »weitere Fluchten von Verantwortungsträgern« folgen könnten, was »das Tempo des Zerfalls der DDR« beschleunigen würde. So der damalige Leiter des Amtes für Nationale Sicherheit am 28. Mai 2012 in einem
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