Schalmeienklänge
Schutz der Vier Götter anbefohlen wurde. Ich war natürlich nicht eingeladen. Ich schlich mich leise und in der Menge unbemerkt hinzu, weil ich einfach nicht wußte, was ich sonst hätte tun können. Die ganze Nacht und den ganzen Tag hatte die Gerüchteküche am Hof gebrodelt, doch wenn ich auch alles zu erhaschen suchte, wenn ich mich auch, soweit ich es wagte, in Rofdals und Leonores Nähe hielt, wenn ich auch Brants Leute befragte und stundenlang vor den Gemächern saß, wo Ärzte und ihre Kammerfrauen Cynda unter Beruhigungsmitteln hielten, wenn ich auch rangniedrigere Priester soweit ausfragte, wie es der Anschein bloßer Neugier zuließ, wenn ich dies alles auch unternahm, so erfuhr ich doch nur, was bei Brants Festnahme abgelaufen, und nicht, was seither aus ihm geworden war. Ich brachte nicht einmal in Erfahrung, ob er noch lebte.
Er war vom König zum Priesterheim befohlen und dort festgenommen worden. Darunter lag das Labyrinth von Zellen und Kerkern aus der Zeit, da das Heim das alte Schloß gewesen und als Festung benutzt worden war. Niemand hatte Zugang zu den unteren Geschossen außer den Priestern und ihren Wachen. Die wenigen Höflinge, die Brant zu sprechen versuchten, davon allerdings keiner allzu entschlossen und allzu laut, waren vom König abgewiesen worden. Rofdal hatte seinen früheren Berater und entfernt verschwägerten Verwandten nicht einmal besucht. Der König bewegte sich zu Hofe in bissiger, düsterer Stimmung, und keiner wagte es, ihm in die Quere zu kommen.
Diese Stimmung milderte sich nun, als der König im Geweihten Garten stand mit seinem Erben im Arm und unter strahlendem Sommerhimmel – das beste aller Omen – das Baby auf den Altar der Vier Schutzgötter legte.
Bei dem Altar handelte es sich um einen flachen runden Stein mit dem Durchmesser einer vollen Speerlänge. Direkt vor dem Stein wuchsen Lebenslevkojen, jedoch nur in einem breiten Saum um den Rand. In der Mitte war nur blankgeschrubbter Stein, blankgeschrubbt durch die schweißtreibenden Mühen zahlloser Novizen, und darauf wurde das Baby Rofwold mit dem Rücken gelegt. Ich war in das Geäst eines Baumes direkt hinter dem Garten geklettert und konnte über die geschmückten Häupter der Höflinge hinweg – Frauen mit Levkojenschleiern, Männer mit leichten bestickten Hauben – das Baby deutlich sehen. Es war das erste Mal, daß ich den Jungen sah. Er blinzelte in die Sonne und begann dann, an seiner kleinen Faust zu nagen; er war ein so prachtvolles Kind, wie die Gerüchte behaupteten. Dann entglitt ihm seine Faust, er verzog das Gesicht, um zu weinen, verlor wieder das Interesse daran und starrte aus Leonores dunklen, ruhigen Augen in den Himmel. Um ihn herum sangen die Priester. Sie zogen dem Prinzen das bestickte Anzügchen aus und rieben während ihres Gesanges den kleinen Körper mit den vierblättrigen Blütenblättern der Levkojen ab, um für ihn die Präsenz der Vier Götter zu erflehen.
»Schützt meinen Leib vor Verbrennung
Schützt meine Sinne vor Betörung
Schützt mein Bewußtsein vor Machtlosigkeit
Schützt meine Seele vor Bedrängnis,
Levkojen.«
Die Priester sangen feierlich und die Höflinge mit ihnen. Auch das Baby lag in feierlichem Ernst, als die ölig weichen weißen Blütenblätter über seine junge Haut glitten.
Jorry hatte niemals einen Schutzerbittungstag bekommen. Als Ungläubige hatte ich jeden Schutz für ihn außer meinem eigenen verhöhnt.
Sonnenlicht, das von der grauen Steinmauer des Priesterheimes reflektiert wurde, blendete mich, daß mir die Augen weh taten. Ich konnte kaum sehen. Zwischen dem entfernten Rauschen des Flusses, dem Gemurmel der Menge unten und dem plötzlichen Weinen des Infanten, als der zu der Auffassung kam, daß er nun genug hatte, vernahm ich einzelne Worte. Priesterworte: »…geweiht den Vier Schutzgöttern, beschützt an Leib und Seele, wiedergeboren unter der Obhut des vierblättrigen Schutzes, der nimmer erlischt…«
Wiedergeboren. Zwischen meinen Händen war die alte Sage von T’Nig, die älter war als die Schutzgötter und die Seelenjägerei gleichermaßen, in einer Form wiedergeboren worden, wie Veliano sie noch nie zuvor erlebt hatte: im Geschichtenspiel. Ich hatte das Märchen neu geschaffen unter der Obhut meines Beschützers Brant, dem es diesmal nicht gelungen war, die Folgen weit genug abzusehen. Und die Geschichte von T’Nig selbst war eine Geschichte der Wiedergeburt, der Wiederkehr der gleichen Seele in verschiedenen Gestalten,
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