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Schalmeienklänge

Schalmeienklänge

Titel: Schalmeienklänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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wobei ihr Selbstbewußtsein unberührt blieb.
    Wiedergeboren. Wiedergeburt. Obhut.
    Wiedergeboren.
    So beginnen alle verzweifelten und verrückten Einfälle.

 
9
     
     
    Nun war mein Feind die Zeit. Den langen ersten Teil des Nachmittags lag der kleine Prinz im Freien im Geweihten Garten, nun allerdings im Schutze eines Baldachins und auf seidenen Kissen anstatt eines blumenbewachsenen Steins, während der Hof und die Priester der Vier Schutzgötter sein religiöses Wohlergehen feierten. Zeitweise schlief Rofwold, dann schaute er sich wieder um oder suchte nach seinen kleinen Fäusten, eine Zeitlang wurde er von Leonore selbst in einer diskret verhängten Sänfte an einer Seite des Gartens gestillt. Sie war doch so sehr Mutter, ihr eigenes Kind selbst zu stillen, anstatt es einer Amme anzuvertrauen. Oder war der Anblick des Thronfolgers an ihrer Brust für Rofdal bestimmt, ein Bild in der Geschichte, die sie um seinetwillen spielte? Ich wußte es nicht. Ich hielt beide Motive für gleichermaßen möglich oder auch nicht; ich konnte die Königin nicht verstehen.
    Der Nachmittag zog sich dahin… endlos, endlos. Schließlich wirkte Leonore müde, und bald darauf zog sie sich aus dem Geweihten Garten zurück. In ihre Gemächer oder zu Brants Zelle? Letzteres konnte sie kaum riskieren. Perwold würde an ihrer Stelle handeln müssen. Perwold, dem der Anblick von Schmerz sinnliches Vergnügen bereitete.
    Perwold hatte das Festmahl nicht verlassen.
    Kurz nach Leonores Aufbruch wurde das Baby ins Schloß getragen. Zwei Hofdamen, zwei Wachen und drei Kindermädchen wurden dazu aufgeboten. Sie bildeten eine lachende Prozession von neun Leuten in bester Laune an einem strahlenden Sommertag. Ich folgte ihnen und leerte im kühlen Flur im Schatten der Wendeltreppe die Erste Phiole. Dann schloß ich die Augen und rief mir ins Gedächtnis zurück, wie die Schauspielschüler bei Mutter Arcoa angewiesen wurden, einen Betrunkenen darzustellen. Man durfte nicht übertreiben. Jedes Publikum ist überzeugter, wenn es die Trunkenheit selbst errät, als wenn sie ihm grobschlächtig aufgedrängt wird. Es muß ein langsam dämmerndes Begreifen sein. Wahrheitstreue war der schwierigste Weg.
    Besonders, dachte ich bitter, in Veliano.
    Der Gang führte zum Kinderzimmer. Zu beiden Seiten der Tür stand ein Wachposten. Als ich mich dem Zimmer näherte, kam gerade ein Kindermädchen heraus.
    »Was führt dich her, Geschichtenspielerin?« Sie sah kräftig und gutmütig aus, hatte ein sauberes, pflichtbewußtes Gesicht und wirkte weder jung noch alt. Ich hätte sie auch als Kindermädchen genommen und fragte mich, ob Leonore oder Rofdal sie ausgesucht hatte.
    »Ich bin bestellt.«
    »Bestellt wofür? Von wem?« Sie warf einen Blick über ihre Schulter zu den zwei adligen Damen im Zimmer.
    Ich versuchte, benebelt zu wirken. »Ich kann mich nicht erinnern. Ich weiß nur noch, daß mir gesagt wurde…«
    Das Kindermädchen zwinkerte mich an. Ich sah, wie die Wachsoldaten belustigte Blicke austauschten.
    »Jemand«, erklärte ich leicht übertrieben prononciert, »jemand wollte eine Geschichte.«
    »Es ist niemand hier«, erklärte die Frau scharf. »Der Prinz muß nun schlafen.«
    Hieß das, daß er noch nicht schlief? Ich reckte mein Kinn vor. »Ich muß eine Geschichte… spielen. Jemand hat eine Geschichte bestellt.«
    Die Frau war nun überzeugt: ich war betrunken. Ihr ehrliches Gesicht verzog sich vor Abscheu. Aber ich hatte bei Hofe eine so unklare Stellung erworben, wo ich weder Bedienstete noch Gast war, daß sie mich nicht selbst wegschicken wollte. Sie verschwand in dem Zimmer und kehrte dann mit einer der Adligen, der älteren von beiden, zurück.
    Es war Lady Triwen. Bei ihrer Wahl hatte ich keine Zweifel: Lady Triwen war von Rofdal beauftragt worden. Sie war eine entfernte Cousine des Königs, eine Witwe in mittleren Jahren vom gleichen aufrechten, schlichten Schlage wie die oberste Kinderfrau. Wenn man sich die Seiden, die lächerlichen Blumen in dem grauen Haar und die Sprache ihres Standes wegdachte, dann hätten sie und das Kindermädchen Schwestern sein können. Lady Triwen hatte keine Geschichtenspielerin bestellt.
    Hinter ihr im Türrahmen stand die jüngere Adlige und beobachtete mich mit amüsiertem Blick. Lady Kaleena, vorher Hofdame der Königin.
    Irgend etwas arbeitete in meiner Brust. Wie weit verzweigt waren Leonores Verbündete unter dem Adel? Es schien wenig wahrscheinlich, daß ihr Bruder Perwold der einzige sein

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