Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schalmeienklänge

Schalmeienklänge

Titel: Schalmeienklänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
Vom Netzwerk:
los…« Aber Tralys jagte schon den Gang hinunter.
    Ich trank die Zweite Phiole und schloß gierig die Augen auf der Suche nach Helligkeit, Zeitlosigkeit und der tanzenden Musik, die sich zum Licht wandelte, um meine verschütteten Bewußtseinsschichten zu erschließen. Ich dachte an die Geschichte von den vielen Wiedergeburten T’Nigs, und es sah so aus, als erweckte der Gedanke daran nach der Zweiten Phiole neue Schönheiten der Sage und neue Bilder, in denen sie darzustellen war. Ich war fast soweit, vor Rofdal aufzutreten.
    In dem Augenblick jedoch, da ich den Saal betrat, fühlte ich, daß sich etwas verändert hatte. Leonore saß mit hoch erhobenem Kopf und auf dem Arm des Königs ruhender Hand. Rofdals fleischiges Gesicht dagegen wirkte angespannt und erschöpft, und seine gewaltige Vitalität schien von ihm gewichen. Zum ersten Mal dachte ich: Er ist doppelt so alt wie sie. Er ist fast schon alt. Aber das traf es nicht ganz. Rofdals Gesicht wirkte auch trotzig wie das eines gehätschelten Kindes, das man zwang, etwas zu tun, was es verabscheute. Altern und kindisches Wesen – eine gefährliche Kombination.
    Man kündete meinen Auftritt an, ich spreizte die Hände und begann mit der Darbietung von T’Nig und dem Kriegerhelden, der wie Rofdal aussah. Noch nie hatte ich sie so gut dargestellt. Zwischen meinen Händen funkelte der grundlose See, und der unfällbare Baum schwenkte seine Äste im Wind. Aber ich vermochte sie nicht zu fesseln. Der Hof, von dem ohnehin nur die Hälfte anwesend war, schaute zerstreut zu, und ständig wurde irgendwo geflüstert. Rofdal saß zusammengesackt in seinem Sessel, und sein fleischiger Daumen strich in endlosen Kreisen über die juwelenbesetzte Armlehne. Nur Leonore verfolgte meine Geschichte mit höflicher Aufmerksamkeit, und gerade auf die ihre hätte ich gut verzichten können. Ohne ihren schwangeren Leib wirkte sie noch kleiner und zerbrechlicher, und weder die aufrechte Haltung ihres Rückgrats noch die Intensität ihres Blickes ließen nach.
    Ich war noch nicht bis zu der Stelle gelangt, da der heldenhafte Krieger ins Spiel kam, als Rofdal halb die Hand hob, als wollte er meine ganze uninteressante Darbietung abwinken, doch er brachte die Geste nie zu Ende. Geräusche einer Rauferei vom Gang, der schrille Befehl einer Frau und Rofdals Hand mitten in der Luft. Weiteres Handgemenge und das Geräusch von Laufschritten. Die Menge teilte sich.
    Cynda lief quer durch den Saal und warf sich vor Rofdal auf die Knie.
    »Euer Gnaden, o Euer Gnaden, nein, sagt mir, daß Ihr nicht…«
    »Lady Cynda, laßt…«
    »Mylord, nein, tut das nicht, Ihr irrt Euch, ich schwöre Euch bei allen gemeinsam verbrachten Nächten…«
    »Ihr vergeßt Euch, Mylady!«
    »Ich vergesse nichts und Ihr auch nicht, das könntet Ihr gar nicht. Euer Gnaden, ich flehe Euch an, ja, ich flehe Euch an, Ihr habt einen Fehler gemacht, o Mylord, das habt Ihr… Wenn Ihr doch nur mit Eurem ganzen Scharfblick noch einmal erwägen würdet…«
    Rofdal sah aus wie ein Mann in der Falle seiner eigenen Gefühle. Er erhob sich von seinem Sessel und trat einen Schritt auf die vor ihm kniende Frau zu. Cynda hatte geweint; ihr gerötetes, schönes Gesicht hätte Steine erweichen können, und wenn nicht es, so doch ihr Flehen. Sie hob ihr tränennasses Gesicht Rofdal wie der Sonne entgegen. Rofdal streckte eine Hand aus. Aber im gleichen Augenblick sah er sich unter seinen Höflingen um und registrierte ihre abwartenden Mienen, und ich hätte auf die Sekunde genau sagen können, wann Zorn und Beleidigung die Falle zuschnappen ließen und Cynda verloren hatte, auch wenn ich damals noch nicht wußte, was.
    »Euer Gnaden…«
    »Ihr seid entlassen, Mylady.«
    »Mylord, nein, im Namen der Schutzgötter, bedenkt noch einmal, es ist doch gar nicht möglich. Und Euer Gnaden müssen das wissen, er ist der getreueste all Eurer Untertanen, das schwöre ich Euch bei meinem Herzen, Brant ist unschuldig…«
    Langsam führte ich meine Hände wie leblose Gewichte zusammen. Die Geschichte zwischen ihnen erlosch.
    »Er könnte niemals sein, wessen er beschuldigt wird, Ihr wißt es, o Mylord… Rofdal…«
    »Wachen!«
    Zwei Gardisten sprangen nach vorne. Sie gingen nicht grob mit ihr um, wie einst mit mir. Voller Respekt hoben sie Cynda auf die Füße, und sie entriß sich ihrem leichten Griff, als wären es junge Mädchen und schlang die Arme um die Brust des Königs.
    »Nein, nein, nein, er ist unschuldig! Denkt, was er Euch gewesen

Weitere Kostenlose Bücher