Schalom
getrunken, dass sie, auch wenn sie es schaffen sollte, ohne diese störenden Gedanken einzuschlafen, bestimmt ein oder zweimal aufstehen musste, um die große Menge Flüssigkeit loszuwerden.
Avri wird Jaki mitteilen, dass sie nicht möchte, dass der kleine Goj zu ihr kommt, und dass sie ihm verbietet, sie anzurufen. Von ihr aus kann er nach Israel kommen. Er kommt ja nicht, um sie zu besuchen. Wenn er unbedingt seinen Zivildienst hier machen will, soll er das doch tun. Er soll aber nicht zu ihr kommen. Sie hat schon von diesem Arrangement gehört, davon, dass die Deutschen Kinder schicken, um hier alte Menschen zu pflegen, und dann denken, sie hätten damit alles gesühnt.
Menachem hat gesagt, nichts würde gesühnt, und wir sollten es denen nicht ermöglichen, ihr Gewissen zu beruhigen. Das schlechte Gewissen soll sie bis zum Ende aller Generationen quälen.
Auch die da , die Mutter von dem kleinen Goj, war hierhergekommen, um mit alten Menschen zu arbeiten. Hätte man ihr nicht diese Tür geöffnet, hätte sie Jaki nie kennengelernt und ihn nicht mitgenommen in das verfluchte Land.
Und jetzt schicken sie das Kind hierher. Wieso hat sie nicht sofort zu Jaki gesagt, dass das nicht infrage kommt? Ein Glück, dass sie wenigstens daran gedacht hat, es Avri zu sagen. Der kleine Goj hätte plötzlich vor ihrer Tür gestanden, ein großer blonder Junge mit blauen Augen, schön wie ein Engel, mit der dunklen Seele von denen dort.
Sie hätte die Tür aufgemacht, und er hätte gesagt: »Schalom, ich bin dein Enkel.«
Sie wäre gezwungen gewesen, ihm die Tür vor der Nase zuzuschlagen, und für solche Aufregungen hatte sie keine Kraft. Noch nie im Leben hatte sie irgendjemandem die Tür vor der Nase zugeschlagen.
Sie gestand sich ein, dass sie dafür vielleicht nicht genug Mut hatte. Wie oft hatte sie sich selbst und Avri versprochen, sie würde den Spendensammlern nichts mehr geben? Und doch hatte gerade heute Morgen wieder so einer bekommen, was er wollte. Aber mit dem kleinen Goj wäre es etwas anderes. Wenn er gekommen wäre, hätte sie sofort die donnernde Stimme Menachems gehört, als er auf den Tisch schlug und die Dinge sagte, deretwegen Jaki ohne Abschied gegangen war. Menachem hätte an ihrer Seite gestanden und seine Stimme hätte aus ihrer Kehle gedonnert. Der da hätte weiter an die Tür geklopft oder geklingelt und sie hätte ihm nicht aufgemacht. All das muss sie nicht weiter beunruhigen. Menachem war nicht mehr da, aber Avri würde dafür sorgen, dass der Junge gar nicht erst herkam.
Ihrer Schwester Zila gegenüber würde sie die Sache nicht einmal erwähnen, sonst würde sie keine Ruhe geben mit ihren unaufhörlichen Versuchen, Jaki mit seiner Familie einzuladen. Zila hat mit Jakis Frau kein Problem. Damals auf der Flucht durch den Wald hatte Zila es geschafft zu entkommen. Hätte man auch sie gefangen, sie hätte es nicht überstanden. Nechama wird ihr nie erzählen, wie es dort war. Auch ohne es zu wissen, hat Zila genug Gewissensbisse, weil sie sich retten konnte. Als hätte es irgendjemandem geholfen, wenn sie geblieben wäre.
Seit sie sich in Israel wieder begegnet waren, gab Zila keine Ruhe, sie bat sie bei jeder Gelegenheit, zu reden, bis Menachem ihr einmal eine Szene machte und sie anschrie, sie solle Nechama nicht an diese Sache erinnern. Danach hatte Zila aufgehört zu fragen. Aber Nechama erinnerte sich oft genug daran, auch ohne die quälenden Hinweise Zilas. Seit Menachems Tod hatte Zila noch nicht den Mut aufgebracht, sich diesen Anweisungen zu widersetzen, aber wer konnte wissen, wie lange sie sich noch zurückhielt.
Trotzdem ging sie zum Telefon und drückte auf die automatische Wähltaste, die Avri ihr eingerichtet hatte. Seit sie diese Tasten hatte, erinnerte sie sich nicht mehr an die Telefonnummern. Um die Wahrheit zu sagen, es waren nicht mehr viele Nummern geblieben, die sie sich merken sollte. Von den Schwestern lebten nur noch sie und Zila. Diese Mörder dort hatten es nicht geschafft, sie zu liquidieren, aber dem Leben war es mit Leichtigkeit gelungen. Außer Helena, die wegen Herzproblemen früh starb, waren sie inzwischen der Reihe nach gegangen.
Freunde hatte sie nie angerufen, das war Menachems Aufgabe gewesen. Seit Menachem gegangen war, hatten manche gar nicht mehr angerufen, sie wusste noch nicht einmal, ob sie noch lebten. Andere hatten noch einige Male angerufen, aber diese Gespräche waren mit der Zeit immer weniger geworden und hatten dann ganz aufgehört. Jeder
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