Schalom
dachte, er müsse ihr am Telefon seine Probleme erzählen. Sie konnte zwar verstehen, dass man das Bedürfnis hatte, sie mit jemandem zu teilen, aber am Telefon? Sie sollen kommen und sich zu ihr setzen, wenn sie das wollten, sie würde ihnen sogar einen Kaffee servieren. Jeder hatte Kummer, und es war gut, wenn man jemandem davon erzählen konnte, aber am Telefon hatte sie immer das Gefühl, man verschwende seine Aufmerksamkeit.
Bei Zila klingelte es immer wieder, aber niemand nahm ab. Was tat sie um diese Uhrzeit außerhalb der Wohnung? Vielleicht musste sie ja bei den Enkelkindern babysitten. Sie wollte schon auflegen, als sie Zilas Stimme hörte.
Nechama konnte sich nicht zurückhalten und sagte: »Warum schreist du so?«
»Das sagst du immer«, sagte Zila.
Nechama wusste, dass Zila recht hatte, und fühlte sich auch etwas kleinlich, aber was konnte sie dafür, dass die Schwester immer schrie?
Sie hörte sich fragen: »Weißt du, wer heute angerufen hat?« Und noch bevor sie die Frage ausgesprochen hatte, ärgerte sie sich darüber, dass sie etwas erzählte, was sie vor wenigen Minuten beschlossen hatte, nicht zu sagen.
»Wer hat angerufen?«
Sie erzählte von Jakis Anruf, beschloss aber, den Zivildienst des Jungen nicht zu erwähnen.
Zila freute sich wirklich. Das merkte Nechama an ihrer Stimme und auch an den vielen Fragen, die jetzt auf sie einstürmten. Bevor sie etwas sagte, was sie nicht sagen wollte, fragte sie schnell:
»Weißt du, dass man ihn so gut hört, als würde er aus einem Nachbarhaus anrufen?«
»Was hast du denn gedacht? Heute ist alles möglich.«
Sie erkundigte sich nach Zilas Enkelkindern, hörte aber kaum zu, als sie antwortete. Zila liebte es, von ihren Enkelkindern zu erzählen, und Nechama ließ sie reden, obwohl sie der Meinung war, auch das passe nicht zu einem Gespräch am Telefon.
Als sie die Enkelkindergeschichten beendet hatte, fragte Zila, ob Avri diese Woche komme, und Nechama wusste nicht, ob es eine höfliche Frage war oder ob sie nur sticheln wollte.
»Er hat gesagt, er wird es diese Woche nicht mehr schaffen«, sagte Nechama. »Er kommt nächste Woche.« Sie war bereit, das Gespräch zu beenden, aber Zila fing an, ihr von merkwürdigen Schmerzen zu erzählen, die sie neuerdings auf der rechten Seite hatte. Die Nachbarin meinte, es seien wohl die Nieren, weil da, wo sie die Schmerzen habe, seien die Nieren. Sie redete wie ein Wasserfall, doch Nechama interessierte das eigentlich nicht, trotzdem tat die Stimme ihren Ohren gut, und sogar Menachem hatte immer gesagt, wenn sie etwas quäle, solle sie mit ihrer Schwester sprechen. »Du musst ihr nichts sagen«, sagte er, »sie redet schon von alleine. Du musst nur zuhören, das wird dich erleichtern.«
Auch jetzt merkte sie, wie recht Menachem gehabt hatte.
4
Obwohl die Sonne trügerisch war und nicht wirklich wärmte, wollte er auf die Sonnenstrahlen nicht verzichten, die heute Morgen plötzlich alles überfluteten, und ging auf den Balkon mit dem Blick auf den kleinen Garten der Familie Schuhmacher. Jaki setzte sich auf einen der Korbsessel, den zweiten nahm er für seine Füße. Das Telefon legte er auf den Glastisch. Sein Blick suchte die Eichhörnchen in der Kastanie. Seit er mit seiner Mutter gesprochen hatte, entfernte er sich nicht für eine Minute vom Telefon. Er hatte ein seltsames Gefühl, so als ob noch etwas fehlte. Es war klar, dass sie seine Stimme nicht erkannt hatte. Sie hatte erst gemeint, mit Avri zu sprechen. Doch dann hatte sie es begriffen und so getan, als habe sie von Anfang an Bescheid gewusst. Aber er kannte, auch nach all den Jahren, besser als sie jeden Ton, jede Schattierung ihrer Stimme. Vor ihm konnte sie nichts verbergen.
Ein Eichhörnchen mit grauem Schwanz landete auf der riesigen Tanne mit dem abgeschnittenen Wipfel. Es lief einen waagrechten Zweig entlang, stoppte plötzlich, während es den Kopf nervös und schnell hin und her bewegte, es kontrollierte die Umgebung, wusste immer, wo es sich befand und wer in seiner Nähe war. Dann hob es seinen prachtvollen Schwanz und lief über den Zweig Richtung Stamm. Jaki konnte ihm kaum mit den Augen folgen, so schnell war es. Das Eichhörnchen verschwand hinter dem Stamm, aber bevor Jaki den Blick wenden konnte, tauchte es auf der anderen Seite des Stamms wieder auf.
Erst jetzt bemerkte Jaki das zweite Eichhörnchen, das sich mit ausgestreckten Füßen am Stamm festhielt. Sein rötliches Fell war gegen die Baumrinde kaum zu erkennen. Als
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