Schalom
der Grauschwanz näher kam, bewegte es sich, hielt inne, schreckte zurück und duckte sich wieder. Während der ganzen Zeit breitete es seine Beine aus, als wären sie Flügel. Jaki rührte sich nicht auf seinem Platz auf dem Balkon. Er hoffte, sie würden auf die Kastanie wechseln, näher zu ihm, aber sie spielten weiterhin Fangen, rannten um den Stamm und schraubten sich immer höher.
Genauso hatte er auf dem Balkon des Hauses am Fuße des Carmelberges gesessen, reglos, und die Eidechsen beobachtet, die den schwarzen, rauen Stamm des alten Ölbaums hinaufkletterten, der vom Garten der Familie Bloch herüberwuchs. Nur dass die Eidechsen stundenlang daliegen konnten, ohne sich zu bewegen. Sie lagen auf einem Ast in der Sonne. Ab und zu hoben sie plötzlich den Kopf und drückten ihn schnell wieder ans Holz, als würden sie in ihr Versteck zurückkehren. Vielleicht war ihr Verhalten ein Ausdruck wachsamer Gelassenheit, aber vielleicht auch nur Trägheit wegen der unglaublichen Hitze an diesen Sommertagen, auf dem Balkon, von wo Jaki über das unendliche Blau des Meers schaute und über die Felder, in denen die neuen Siedlungen von Kiryat Eliezer aus der Erde schossen. Anders als die Eidechsen hatten die Eichhörnchen ein wunderbares Fell, und obwohl die Zweige so kalt waren, brauchten sie die Sonne nicht, die sowieso kalt und trügerisch war. Sie rannten mit schnellen, nervösen Bewegungen hin und her und ignorierten die Kälte und das starke Licht.
Gerade als der Grauschwanz auf die Rosskastanie sprang und schnell einen Zweig entlangrannte, kaum zwei Meter vom Balkon entfernt, klingelte plötzlich das Telefon und das hübsche Eichhörnchen floh zurück zur Tanne.
Jaki schnappte schnell den Apparat, um das Klingeln zum Schweigen zu bringen, kam aber zu spät. Der Grauschwanz war schon wieder auf der Tanne und verschwand hinter dem Stamm. Jaki konnte gerade noch sehen, wie auch der rötliche Schwanz hinter dem Stamm verschwand.
»Ja«, sagte er, »Silber!«
»Herr Silber, hast du keinen Vornamen mehr?« Avris Stimme milderte seinen Ärger über das Verschwinden der Eichhörnchen. In diesem Moment wusste Jaki, dass er Avri vom Anruf bei der Mutter hätte erzählen müssen, bevor sie es tat, denn Avri hatte seine Hilfe angeboten. Er wollte schon sagen, es tue ihm leid, aber Avri kam ihm zuvor.
»Du bist vielleicht ein Schlawiner«, sagte Avri. »Hast du wirklich geglaubt, wenn du Mutter überrumpelst, kommt alles wieder ins Lot?«
»Ist etwas passiert?«
Er meinte, in Avris Stimme etwas zu hören, was auf etwas Schlechtes hindeutete, aber Avri beruhigte ihn schnell.
»Es ist nichts passiert, sie hat nur Zeit gebraucht, um genau zu begreifen, was du zu ihr gesagt hast, und dass sie vorschnell ihr Einverständnis gegeben hat. Das hat sie nachträglich sehr erschreckt.«
Avri war nur zwei Jahre älter als er und beide waren inzwischen über fünfzig. Trotzdem war Avri noch immer sein großer Bruder, und der Klang seiner Stimme reichte, um ihn zu besänftigen und zu beruhigen. Wie damals in jener Nacht, als er, ausgerechnet als die Eltern nicht zu Hause waren, schreckliche Ohrenschmerzen bekommen hatte. Avri saß bei ihm am Bett, streichelte seine Stirn, stützte seinen Nacken und redete beruhigend auf ihn ein. Der Schmerz wurde dadurch nicht geringer, eher stärker, aber die Angst verschwand. Jaki konnte den Schmerz aushalten, bis die Eltern zurück waren. Etwas von dieser beruhigenden Wirkung hatte Avris Stimme auch jetzt noch, obwohl er das, was Avri sagte, nicht gerne hörte.
»Ich möchte nicht, dass der da zu mir kommt …« So hatte sie es gesagt. Doch das ist natürlich nicht Avris Schuld. Vermutlich hat er sogar versucht, sie zu überreden, doch das erwähnte er nicht. Er sagte nur das, was sie ihm zu sagen aufgetragen hatte. »Ich möchte den da nicht hier bei mir haben!«
Für sie bestand seine Familie nur aus der da für seine Frau und die da für die Kinder.
Jaki konnte sich nicht beherrschen, mit zittriger Stimme sagte er: »Er ist nicht der da , es ist Gil, ihr Enkel.«
»Das weiß ich, Jaki«, sagte Avri durch das Telefon, »aber ich fürchte, in dieser Sache kann ich dir nicht helfen.«
Natürlich konnte er nicht helfen. Wäre diese Sache nicht gewesen, würde er, Jaki, nicht hier auf dem kalten Balkon sitzen, in einen Pullover gehüllt, und die Eichhörnchen beobachten, die zwischen Kastanie und Tanne hin und her sprangen, er würde auf dem Balkon sitzen und hinunter in den Garten der Familie
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