Schamland
die Letzten in der Nahrungskette. Wir bekommen nur noch die Krümel. * Das macht uns wütend! *
Natürlich wissen wir, dass Tafeln Orte wie andere sind. Es kann keine absolute Gerechtigkeit geben. Wir sagen auch nicht, dass sich die Helfer keine Mühe geben. Jedem gerecht zu werden, ist eine Kunst, die keiner beherrscht. * Jeder möchte was haben, jeder hat einen Wunsch. Die Helfer können aber nicht alle Wünsche erfüllen. * Wenn man bei Tafeln Gerechtigkeit einführen möchte, müssten wirklich alle Lebensmittel in den Mixer. Gut durchmixen und dann grammgenau abwiegen und austeilen. Gerechtigkeit, vergessen wir’s. *
Die Ausgabemenschen und wir
Tafeln repräsentieren die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich. Denn jede Tafel hat zwei Seiten: drinnen die Helfer, draußen wir. * Trotz dieser Trennung haben wir grundsätzlich nichts gegen die Helfer. Sie können nichts dafür, dass wir zur Tafel gehen müssen. Die meisten nehmen uns herzlich auf. * Und kaum einer von uns schätzt das Engagement der Helfer gering. Aber dieses Engagement ist uns auch unheimlich. Manche nehmen sich einen Tag in der Woche frei, nur um bei ihrer Tafel dabei zu sein. * Viele hängen mit Leib und Seele an der Tafel. * Die Helfer machen und machen – und merken nicht, dass sie damit die Ursache der Armut nie beheben werden. *
Da fragen wir uns schon, was dahintersteckt.
Im Laufe der Zeit kennen wir schon einige Helfer vom Sehen. Und wir lernen die Namen der Ausgabemenschen kennen. * Ausgabemenschen sind Menschen mit Macht. Und sie gehen damit sehr unterschiedlich um.
Es gibt die netten Helfer. Sie versuchen, uns eine gute Zeit zu machen. * Das sind auch diejenigen, die sich einen Lieblingskunden aussuchen. Eine Frau mit Kind ist immer ein Lieblingskunde für die netten Helfer. * Wenn sie wissen, dass jemand Kinder hat, dann packen sie schon mal was Süßes extra ein. * Wir wissen, dass es viele Helfer gibt, die zu allen nett sein wollen. Aber da können sie sich noch so viel Mühe geben, die schiefe Ebene wird nie verschwinden. * Im besten Fall ist der Umgang miteinander berührungslos. Wir bekommen was reingelegt und tschüs. * Wir sind deswegen noch nicht einmal beleidigt, sondern verstehen das sogar. Wir sind ja so viele. *
Auf der einen Seite gibt es viel Freundlichkeit. Auf der anderen Seite gibt es aber auch das Klima der Angst. Es legt sich nach einiger Zeit über die Freundlichkeit, schwächt sie ab, macht sie brüchig. Das Klima der Angst entsteht durch Drohungen, durch Anschreien, Befehle, Kontrolle und Barschheit. * Immer wieder wird gedroht. ›Wenn Sie den Termin nicht einhalten, dann …‹ Es geht nur noch über Drohungen. Das finden wir schlimm. * Nicht jeder von uns hat ein dickes Fell, um sich gegen dieses raue Klima zu schützen. * Manche Helfer sind nicht einfach. Sie sind nicht gerade feinfühlig unterwegs. * Sie glauben, sie sind die Tafel. * Diese Helfer verwechseln ihr Engagement mit einem Beruf. *
Am schlimmsten aber sind die machtgeilen Helfer. Sie spielen mit uns ›Herr und Knecht‹. Es gibt Helfer, die wollten uns dressieren. * Sie rufen: ›Eine Linie!‹ Dann wird eine Linie gebildet. Oder: ›Von eins bis zehn eintreten!‹ * Manchmal werden solche Mitarbeiter ausgetauscht, dann wird es besser. * Wir stehen oftmals Menschen gegenüber, die einfach nur zeigen wollen, wer sie sind. Und es sind auch einige dabei, die sind überheblich. Die lassen einen spüren, dass man abhängig ist von ihnen. Die lassen einen das ganz genau spüren. * Diese Abhängigkeit ist ein Faktor, der in den Lobreden über Tafeln nie auftaucht. Die Tafeln sind eine zweigeteilte Welt aus solchen, die Macht haben, und jenen, die ohnmächtig sind.
Bei Tafeln gibt es Grenzen, auch wenn diese nicht immer gleich zu erkennen sind. Wir erleben immer wieder, dass sich die Vorsitzenden oder Leiter einer Tafel daran stören, dass wir – ihre ›Gäste‹ – bei der Tafel mitarbeiten wollen. Das geht einfach nicht. Das ist eine Unverschämtheit. Einfach so mitzuwerkeln. Sich da einbringen zu wollen. *
Einige von uns wollen mithelfen, wenige dürfen das. Was das Ausgeben der Lebensmittel angeht, sagen die ehrenamtlichen Helfer ganz klar: Nein! Wir dürfen zwar Kisten schleppen, LKW fahren, Toilette putzen und Gemüse sortieren. Aber die besten Sachen picken sich die Ehrenamtlichen selbst heraus. Die lassen nicht jeden an ihre Lebensmittel ran. * Da werden ganz klare Grenzen gezogen. Jeder weiß, wo er hingehört. Es
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