Schamland
anstehen. Unverhältnismäßig lange. Bis die Abholmarken ausgeteilt werden. * Wir müssen pünktlich sein, nur um dann dazustehen und uns durchfrieren zu lassen. Der Tag ist sozusagen ausgeplant. * Mit Warten versaut. *
Gut sieht das nicht aus. Wir fragen uns, ob das nicht ein Imageschaden für eine Stadt ist, wenn da so eine Horde von Leuten mit Einkaufstrolleys auf der Straße Schlange steht? Das fällt doch jedem Touristenbus auf! * Deshalb sind auch manche Tafeln ganz weit draußen, an der Wohngebietsgrenze. Die sind schon halb im Gebüsch. Da fallen sie nicht so auf. *
Besonders unangenehm ist das Warten bei Regen, weil es kaum Unterstellmöglichkeiten gibt. * Das ist eine Zumutung. * Bis man überhaupt mal reinkommt, stehen wir viele Stunden auf der Straße. * Damit nicht alle die Tafeln gleichzeitig betreten. Sonst gibt es noch mehr Geschubse und Gedränge. *
Aber das Warten auf der Straße allein ist es nicht. Die Tafeln sind selten auf den Andrang vorbereitet. Es gibt hervorragend ausgestattete Tafeln. * Aber auch solche, die nur eine kleine Bank für 100 Leute haben. * Oft gibt es noch nicht mal eine Sitzgelegenheit. * Oder nur einen Aufenthaltsraum, in dem wir alle wie auf einem Haufen hocken. * Es gibt immer noch Tafeln, die nur eine Toilette haben, das geht hintereinander weg. Ohne Pause. Dass sie irgendwann zu stinken anfängt, ist klar. Geputzt wird die Toilette dann von den 1-Euro-Jobbern. Wir fragen uns, wer mal was an diesen Verhältnissen ändert. *
Es gibt einiges, das die Atmosphäre ganz schön vergiften kann. * Müllberge auf der einen Seite, Menschen, denen es noch schlechter geht auf der anderen Seite. * Wir wollen das nicht. * Wir wollen auch diese Hektik nicht, das Gedränge, wenn alle die Ersten sein wollen. * Es herrscht eine Stimmung, eine Atmosphäre, auf die wir verzichten können. Leute schreien. Nerven liegen blank. Alle kämpfen um die besten Nummern, wollen die beste Ware. Alle sind verdächtig, sich gegenseitig zu übervorteilen. Manche machen Fotos und drohen mit einer Anzeige. Das macht es wirklich nicht einfacher, die eigene Scham abzubauen. * Es ist relativ klar, dass diese Atmosphäre nicht besonders positiv sein kann. *
Vieles hat sich verbessert. Aber gerade der Erfolg der Tafeln führt zu neuen Problemen. Es läuft nicht immer gut, wenn mehr Leute kommen. Immer mehr Leute, das bedeutet für uns immer weniger Sachen. * Jedes Mal, wenn wieder jemand kommt, der seinen Hartz- IV -Bescheid vorzeigt, dann denken wir: schon wieder ein Neuer! Das gefällt uns nicht! Die Auswahl ist auch nicht mehr das, was sie mal war. * Nach und nach stellen wir fest, dass da von Woche zu Woche viele neue Gesichter dabei sind, die ihren Schein abgeben. Und wir stellen gleichzeitig fest, dass die Lebensmittel weniger werden. Schon morgen kann der Tag kommen, an dem die ganze Tafelherrlichkeit vorbei ist. * Und damit wird auch der Verteilungskampf härter. *
Genug für alle? Ein frommer Wunsch! Die Realität bei Tafeln sieht anders aus. Immer gibt es die Möglichkeit, vor leeren Regalen zu stehen, denn die Versorgungslage ist schwankend. Dieses Gefühl stresst uns und macht den Gang zur Tafel unerträglich. Wir glauben, dass an einigen Orten bald das Licht ausgehen wird. * Wenn wir keine vernünftige Ware bekommen, dann kommt auch keiner mehr zur Tafel. *
Schon jetzt gibt es immer wieder Engpässe. Und lange Gesichter. Wenn es nur ein Ei pro Person gibt, dann gibt es eben nur ein Ei. Da ist dann nix zu machen. Das muss ja gerecht sein, sagt man uns dann. * Denn die Idee ist, jeder soll das Gleiche bekommen. Aufgeladen wird pro Kopf. * Ob das angemessen ist oder nicht. Kommen wir zur Ausgabe der Lebensmittel, müssen wir unsere Karte vorzeigen. Darauf steht, wie viele Personen im Haushalt versorgt werden. Wer mehr möchte, der wird angeherrscht: ›Mehr steht Ihnen nicht zu!‹ Das ist wie damals im Krieg. Rationiert. Das erinnert an die Essensmarken, auf denen auch genau verzeichnet war, wer wie viel Gramm Butter zugeteilt bekam. *
Es wird zwar immer behauptet, dass die Letzten das Gleiche bekämen wie die Ersten. Aber wir bezweifeln das. Unsere Erfahrungen sind andere, und das Augenmaß kann täuschen. * Grundsätzlich müssen wir nehmen, was wir kriegen. Friss oder stirb! Angenehm ist das nicht. * Wir können uns die Sachen nicht aussuchen, wir kriegen die einfach zugeordnet. * Wir werden schief angeguckt, wenn wir sagen, dass wir etwas nicht haben möchten, weil wir es nicht
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