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Schamland

Schamland

Titel: Schamland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Selke
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einfach den Beutel auf, da wird dann reingeschmissen. Wir durchlaufen ganz viele Module, bis wir wieder draußen sind. * Brotmodul, Gemüsemodul, Molkereiproduktemodul. Vor jedem Modul hören wir: ›Weiter! ‹ An der nächsten Station dann wieder: ›Weiter!‹ * Und immer alles obendrauf. Richtig an­ge­häuft. Und am Ende kriegt man dann noch Dosen. Natürlich obendrauf. So würde man sich selbst die Sachen nie ­packen. * Natürlich machen das manche Tafeln inzwischen besser, die haben schon kapiert, dass es auch anders geht. *
    Den Umgang mit der Wundertüte nennen wir ›kreative ­Küche‹. * Die Leute von der Tafel sagen, sie würden nur einwandfreie Lebensmittel ausgeben. Ist aber nicht so. * Dass die Sachen oftmals vergammelt sind, weiß keiner, der nicht selbst dort gewesen ist. *
    Denn die Wundertüte hat zwar eine nette Verpackung, was aber drinnen steckt, ist oft ganz miserabel. Immer wieder ­erleben wir böse Überraschungen. Zu Hause fangen wir an, den Salat zu putzen. Nachdem die äußeren Blätter abgemacht wurden, kommt dann der verfaulte Kern zum Vorschein. * Immer wieder ist Ware dabei, von der die Hälfte schon verfault ist. Keiner kann uns erzählen, er hätte es nicht gesehen. Grüner oder schwarzer Schimmel im Brot, der verbreitet sich nicht von einer Stunde auf die andere. * Es ist auch schon vorgekommen, dass wir mit dem Brot einen Nagel in die Wand hätten hauen können, so hart war es. Steinhart. * Manche kommen zur Tafel und holen Lebensmittel ab, um damit ihre Tiere zu füttern. Das gibt es auch. * Da ist das Zeug Asbach uralt. *
    Immer wieder reden wir uns ein, dass wir das Beste aus den Resten machen können. Wir reden uns ein, dass der Joghurt okay ist, solange der Deckel nicht hochgeht. * Wir freuen uns auch über Tigerbananen. So nennen die Tafelhelfer Bananen mit Flecken. Bei der Tafel bringen sie uns bei, dass eine ­Banane ruhig braun sein darf. Man braucht nur einen Mixer. Und einen Liter Milch. Gebt uns die Tigerbanane, wir machen daraus Bananenmilch! *
    Wenn die Tafeln die verlängerte Müllhalde der Gesellschaft * sind, dann muss es niemanden wundern, wenn wir uns regelrecht als Müllentsorger fühlen, als personifizierte Biokompostanlagen. * Wir bekommen, was Supermärkte nicht mehr verkaufen können. * Das ist keine Kritik an den Tafeln, sondern an den Lebensmittelspendern. * Das geht nicht! Für den einen Teil der Gesellschaft sind die Lebensmittel nicht mehr akzeptabel. Für den anderen Teil muss es reichen. Im Prinzip gibt es zwei Normen für zwei verschiedene Gruppen der Gesellschaft. * Es ärgert uns, dass so etwas verteilt wird. Es ärgert uns maßlos, dass wir manchmal einen solchen Müll bekommen. * Den Müll würden wir am liebsten gleich dort bei der Tafel lassen. Man will sich ja nicht vergiften. Und vor allem will man seine Kinder nicht vergiften. * Man muss den Leuten schon geben, was sie brauchen. *
    Krümel vom Kuchen
    Was uns fehlt, ist Gerechtigkeit. * Wir machen bei Tafeln täglich neue Erfahrungen mit Ungerechtigkeit. Was nervt, sind die Mitarbeiter, die einfach Ware zurückhalten oder sich ­Lebensmittel mitnehmen. Ist es Diebstahl? Oder Organisa­tionstalent? * Wenn man nicht aufpasst, sind von 100 Kilo schönem Obst nur noch 50 Kilo übrig. * Die haben da so Geheimecken, da werden ganz viele Sachen gehortet. * Da wird eingehalten. Da kommt viel in die eigene Tasche. Das kriegen nicht wir. * Die nehmen sich zuerst, was sie brauchen. * Es kommt so viel Ware rein, wo geht die hin? *
    Das ist eines der Tabu-Themen bei Tafeln. Die Selbstbedienung der Helfer. Wir beobachten, wie Ware verschoben wird. Wie sich die Helfer selbst bedienen. Wir fragen uns, wie es sein kann, dass wir drei Stunden warten und die Ehrenamt­lichen mit vollen Tüten nach Hause gehen. Das ist keine Gerechtigkeit! * Da helfen auch keine Taschenkontrollen. * Wir merken, wie die einen mehr und die anderen weniger Ware bekommen – je nach Sympathie oder Antipathie. * Das ist nicht die Regel, aber auch nicht die Ausnahme. Wenn man nur mit Vitamin B etwas bekommt, dann ist das ungerecht. * Man wird Ungerechtigkeit niemals abschaffen können, solange es Menschen gibt. Aber bei Tafeln ist die Ungerechtigkeit ins System eingebaut. Unser Eindruck ist, dass wir nur noch die Krümel vom Kuchen bekommen. Die Mitarbeiter bei der Tafel nehmen sich die besten Stücke. Die ersten Stücke bekommen die Fahrer, das zweite Stück die Helfer bei der Ausgabe. Manches kommt niemals bei uns an. Wir sind

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