Schande
Gegend Nachkommen haben muß, und die würden sie gern bei sich aufnehmen. Aber es steht nicht in ihrer Macht, sie einzuladen. Sie gehören zum Inventar, sie gehören zum Alarmsystem. Sie ehren uns, indem sie uns wie Götter behandeln, und unsere Reaktion darauf ist, daß wir sie wie Gegenstände behandeln.«
Sie verlassen den Käfig. Die Hündin läßt sich fallen, schließt die Augen.
»Die Kirchenväter haben eine lange Debatte über sie geführt und sind zum Schluß gekommen, daß sie keine richtige Seele haben«, bemerkt er. »Bei ihnen ist die Seele an den Körper gebunden und stirbt mit ihnen.«
Lucy zuckt mit den Schultern. »Ich bin mir nicht sicher, daß ich eine Seele habe. Ich würde eine Seele nicht erkennen, wenn mir eine begegnete.«
»Das stimmt nicht. Du bist eine Seele. Wir alle sind Seelen. Wir sind Seelen schon vor unserer Geburt.«
Sie sieht ihn seltsam an.
»Was wirst du also mit ihr machen?« fragt er.
»Mit Katy? Ich behalte sie, wenn’s sein muß.«
»Schläferst du Tiere nie ein?«
»Nein, ich nicht. Bev macht es. Das will sonst keiner machen, deshalb hat sie es sich aufgehalst. Es nimmt sie schrecklich mit. Du unterschätzt sie. Sie ist interessanter, als du glaubst. Selbst nach deinen Maßstäben.«
Seine Maßstäbe – welche sind das? Daß untersetzte kleine Frauen mit häßlichen Stimmen es verdienen, nicht beachtet zu werden? Ein Schatten des Kummers fällt über ihn – Kummer um Katy, allein in ihrem Käfig, um sich selbst, um alle Menschen. Er seufzt tief und unterdrückt den Seufzer nicht. »Verzeih mir, Lucy«, sagt er.
»Ich soll dir verzeihen? Was denn?« Sie lächelt ein wenig spöttisch.
»Daß ich einer der beiden Sterblichen bin, die berufen waren, dich in die Welt zu geleiten, und daß ich letztlich kein besserer Führer gewesen bin. Aber ich werde Bev Shaw helfen. Wenn ich sie nicht Bev nennen muß. Das ist ein einfältiger Name. Er erinnert mich an Kühe. Wann soll ich anfangen?«
»Ich werde sie anrufen.«
10. Kapitel
Auf dem Schild draußen an der Klinik steht: TIERSCHUTZBUND E.V. 1529. Darunter eine Zeile mit den Öffnungszeiten, doch die ist überklebt. An der Tür eine Schlange wartender Leute, einige mit Tieren. Sobald er aus dem Auto aussteigt, umringen ihn Kinder, betteln um Geld oder starren ihn bloß an. Er bahnt sich den Weg durch das Gewühl und durch eine plötzliche Kakophonie, als zwei Hunde, von den Eigentümern zurückgehalten, sich anknurren und um sich schnappen.
Das kleine, kahle Wartezimmer ist vollgestopft. Er muß über jemandes Beine steigen, um hineinzukommen.
»Mrs. Shaw?« fragt er.
Eine alte Frau weist mit dem Kopf auf einen Eingang, den ein Plastikvorhang abschirmt. An einem kurzen Strick hält die Frau eine Ziege; das Tier blickt sich nervös um, beäugt die Hunde, seine Hufe klicken auf dem harten Fußboden.
Im Raum dahinter, der durchdringend nach Urin stinkt, arbeitet Bev Shaw an einem niedrigen Tisch mit Stahlplatte. Mit einer Stiftlampe schaut sie einem jungen Hund, der wie eine Kreuzung zwischen Ridgeback und Schakal aussieht, ins Maul. Auf dem Tisch kniet ein barfüßiges Kind, offenbar der Besitzer, hat den Kopf des Hundes unter den Arm geklemmt und versucht, die Kiefer auseinanderzuhalten. Aus der Hundekehle dringt ein tiefes, gurgelndes Knurren; die kräftigen Hinterläufe sind angespannt. Ungeschickt mischt er sich in das Handgemenge ein, drückt die Hinterbeine des Hundes zusammen und zwingt ihn so zum Sitzen.
»Danke«, sagt Bev Shaw. Sie ist rot im Gesicht. »Da ist ein Abszeß durch einen impaktierten Zahn. Wir haben keine Antibiotika, deshalb – halt ihn fest, boytjie! –, deshalb müssen wir den Abszeß mit der Lanzette öffnen und das Beste hoffen.«
Sie sondiert mit einer Lanzette im Maul herum. Der Hund reißt sich mit einem gewaltigen Ruck los von ihm, reißt sich fast vom Jungen los. Er packt das Tier, als es scharrt, um von Tisch herunterzukommen; einen Moment starren ihn seine Augen an, voller Wut und Angst.
»Auf die Seite mit ihm – so«, sagt Bev Shaw. Sie redet beruhigend auf den Hund ein und zieht ihm gekonnt die Beine weg, legt ihn auf die Seite. »Der Gurt«, sagt sie. Er legt dem Tier einen Gurt um den Leib, und sie schnallt ihn zu. »Gut«, sagt Bev Shaw. »Denken Sie tröstliche Gedanken, denken Sie starke Gedanken. Sie können riechen, was man denkt.«
Er drückt den Hund mit seinem ganzen Gewicht
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