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Schande

Schande

Titel: Schande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. M. Coetzee
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nieder. Das Kind hat eine Hand mit einem Lumpen umwickelt und öffnet jetzt vorsichtig wieder das Maul. Die Augen des Hundes rollen entsetzt. Sie können riechen, was man denkt – was für ein Unsinn! »Ist ja gut, ist ja gut!« murmelt er. Bev Shaw sondiert wieder mit der Lanzette.
      Der Hund würgt, wird steif, entspannt sich dann.
      »Gut«, sagt sie, »jetzt müssen wir der Natur ihren Lauf lassen.« Sie löst den Gurt, spricht mit dem Kind in einer Sprache, die wie holpriges Xhosa klingt. Der Hund, wieder auf den Beinen, kauert unter dem Tisch. Auf dem Behandlungstisch sind Blut- und Speichelspritzer; Bev wischt sie weg. Das Kind lockt den Hund hinaus.
      »Vielen Dank, Mr. Lurie. Sie haben eine gute Ausstrahlung. Ich spüre, daß Sie Tiere gern haben.«
      »Habe ich Tiere gern? Ich esse sie, daher muß ich sie wohl gern haben, einige Teile von ihnen.«
      Ihr Haar besteht aus einer Unmenge kleiner Löckchen.
      Macht sie die Löckchen selber, mit einem Lockenstab?
      Unwahrscheinlich – es würde jeden Tag Stunden dauern.
      Das muß Natur sein. Eine solche Haarstruktur hat er noch nie aus der Nähe gesehen. Die Aderchen auf ihren Ohren bilden ein filigranes violettes Netz. So auch die Äderchen auf der Nase. Und dann ein Kinn, das direkt aus der Brust wächst, wie bei einer Kropftaube. Das alles zusammen ist bemerkenswert unattraktiv.
      Sie denkt über seine Worte nach, deren Ton ihr entgangen zu sein scheint.
      »Ja, wir verzehren in diesem Land eine Menge Tiere«, sagt sie. »Das tut uns offenbar nicht besonders gut. Ich weiß nicht, wie wir das ihnen gegenüber rechtfertigen können.« Dann: »Wollen wir uns den nächsten vornehmen?«
      Rechtfertigen? Wann? Am Tag des Jüngsten Gerichts?
      Er würde gern mehr hören, aber jetzt ist keine Zeit dazu.
      Die Ziege, ein ausgewachsener Bock, kann kaum laufen. Die eine Hälfte seines Hodensacks, gelb und dunkelrot, ist angeschwollen wie ein Ballon; die andere Hälfte ist ein blutverkrusteter und schmutziger Klumpen. Er ist von Hunden angefallen worden, sagt die alte Frau. Aber er wirkt ziemlich munter, fröhlich, kämpferisch. Während Bev Shaw ihn untersucht, läßt er eine kurze Salve von Pillen auf den Boden fallen. Die Frau, die bei seinem Kopf steht und ihn bei den Hörnern gepackt hält, tut so, als zanke sie ihn aus.
      Bev Shaw berührt seinen Hodensack mit einem Tupfer. Der Ziegenbock schlägt aus. »Können Sie seine Beine fesseln?« fragt sie und deutet an, wie. Er fesselt das rechte Hinterbein an das rechte Vorderbein. Der Ziegenbock versucht wieder auszuschlagen und schwankt. Sie tupft behutsam die Wunde aus. Der Bock zittert, läßt ein Meckern hören – ein häßlicher Laut, tief und heiser.
      Als der Schmutz herunter ist, sieht er, daß die Wunde vor weißen Maden wimmelt, die ihre blinden Köpfe in die Luft winden. Er schaudert. »Schmeißfliegen«, sagt Bev Shaw. »Mindestens eine Woche alt.« Sie schürzt die Lippen. »Sie hätten ihn schon viel eher bringen sollen«, sagt sie zu der Frau. »Ja«, sagt die Frau. »Jede Nacht kommen die Hunde. Es ist wirklich zu schlimm. Für einen Bock wie ihn zahlst du fünfhundert Rand.«
      Bev Shaw richtet sich auf. »Ich weiß nicht, was wir tun können. Ich habe nicht die Erfahrung, um eine operative Entfernung zu versuchen. Sie kann auf Dr. Oosthuizen warten, der donnerstags kommt, aber der alte Bursche ist dann sowieso unfruchtbar, und will sie das? Und dann kommt die Frage nach Antibiotika. Ist sie bereit, Geld für Antibiotika auszugeben?«
      Sie kniet sich wieder neben den Ziegenbock, schmiegt sich an seinen Hals, streicht mit ihrem Haar den Hals aufwärts. Der Ziegenbock zittert, steht aber still. Sie bedeutet der Frau, die Hörner loszulassen. Die Frau gehorcht. Die Ziege rührt sich nicht.
      Sie flüstert. »Was meinst du, mein Freund?« hört er sie sagen. »Was meinst du? Ist es genug?«
      Der Ziegenbock steht stockstill, wie hypnotisiert. Bev Shaw streichelt ihn weiter mit ihrem Kopf. Sie scheint selbst in Trance versunken.
      Sie faßt sich und steht auf. »Es ist leider zu spät«, sagt sie zu der Frau. »Ich kann ihn nicht gesund machen. Sie können auf den Doktor am Donnerstag warten, oder Sie können ihn hier bei mir lassen. Ich kann ihm ein stilles Ende bereiten. Er läßt mich das für ihn tun. Soll ich? Soll ich ihn hierbehalten?«
      Die Frau ist unschlüssig, schüttelt dann den Kopf. Sie fängt an, den Ziegenbock zur Tür zu zerren.
      »Sie

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