Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schandweib

Schandweib

Titel: Schandweib Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Weiss
Vom Netzwerk:
dem erfahrenen Mann nicht verborgen.
    »Der Prokurator hat in Wandsbek einige Hinweise entdeckt, die das Weib, das er verteidigt, von den Vorwürfen, welche man ihm macht, entlasten. So fand er einige Briefe. Vielleicht wollte man ihm diese abnehmen, denn eines ist sicher: Zwei von diesen Schreiben bergen ein Geheimnis.«
    »Was weißt du von diesen Schreiben, Kind?«
    Ruth schluckte, dann berichtete sie ihrem Vater von dem Fund der beiden versiegelten Briefe, die sie an sich genommen hatte, um sie ihm zu zeigen, damit er Wrangel vielleicht helfen könne.
    »Diese geheimnisvollen Briefe sind also in deinem Gewahrsam? Zeige sie mir bitte.«
    Nickend erhob sich Ruth und ging auf ihre Kammer, um die Briefe zu holen. Abelson starrte in das Feuer. Der Glanz in den Augen seiner Tochter sprach Bände über ihre Gefühle für den jungen Prokurator. Aber er war ein Goj. Eine tiefere Verbindung mit ihm stand außerhalb jeglicher Tradition. Seine Tochter, sein einziges noch lebendes Kind, würde sämtliche Traditionen und Werte der Familie hinter sich lassen müssen, ginge sie einen solchen Weg.
    »Hier sind die Briefe, Vater.«
    Abelson nahm die beiden Schreiben, warf einen langen Blick auf die gebrochenen Siegel und musterte dann eindringlich seine Tochter. »Das Wesentliche in unserem Leben, Ruth, sind die Werte, die Traditionen, die wir wahren und weitergeben. Unsere Familie hat eine lange und bewegte Geschichte. Sie hat Zeiten des Glücks und Zeiten des Leids durchlebt. Unsere Ahnen haben Unterdrückung, Schmach und Verfolgungen überstanden. Niemals haben sie ihren Glauben verloren, niemals sich durch Zweifel verführen lassen, von dem alten, dem wahren Weg abzukommen. Unsere Familie stand zu ihren Traditionen und Werten unter den islamischen Herrschern Südspaniens, die ihr ungeahnte Freiheiten und Wohlstand ermöglichten, ebenso wie unter den christlichen Königen und Kaisern, die sie nicht schützten vor dem Aberglauben und dem Hass ihrer Untertanen. Wir haben die Zeiten der Kreuzzüge überstanden, ohne uns dem Kreuz zu unterwerfen. Immer hat es unsere Familie als ihre Aufgabe verstanden, dem Wesentlichen treu zu bleiben. Dies ist auch deine Aufgabe.«
    »Das weiß ich, Vater. Und genau darum geht es hier, um das Wesentliche im Leben, um Liebe und Tod.«

Freitag, 26. November 1701
47
    B unk erwachte von dem quietschenden Geräusch, mit dem der Riegel zu ihrem Kerker zurückgeschoben wurde. Durch den kleinen Lichtschacht unter der Decke fiel nur fahles Dämmerlicht herein. Es musste noch sehr früh sein. Sie hatte schlecht geschlafen. Wilde Träume hatten sie immer wieder aufgeschreckt, und anschließend fand sie auf dem klammen Strohsack in dem kalten Verlies lange nicht zurück in den Schlaf. Zudem hatte sie Hunger. Seit ihr Prokurator so übel zugerichtet worden war, hatte er ihr kein Essen mehr zustecken können. Ob er sich in seinem Zustand überhaupt selbst auf den Beinen halten konnte?
    Als sich die Kerkertür öffnete, fiel ein gewaltiger Schatten bis vor ihr Lager.
    »Steh auf, der Prätor will dich sehen.«
    Jürgen blieb an der Tür stehen und wartete auf Bunk, anstatt sie wie sonst sofort zu greifen und fortzuzerren. In seinem Gesicht glaubte Bunk einen Funken Mitleid zu erkennen. Oder irrte sie sich?
    Jürgen führte sie hinauf in die Herrenstube, in der bereits der Prätor, einer der beiden Prokuratoren, die sie schon einmal bei Gericht gesehen hatte, der Aktuar sowie der Scharfrichter versammelt waren. Wrangel allerdings fehlte. Wo mochte er sein? Vielleicht hatten ihm seine Verletzungen doch stärker zugesetzt. Aber jetzt brauchte sie ihn, das wurde Bunk schlagartig klar. Wo war er?
    Kaum hatte Jürgen Bunk hereingeführt, ergriff der Prätor das Wort.
    »Nachdem die hier nun anwesende Gefangene und Inquisitin Ilsabe Bunk vor zwei Tagen ihr bisheriges Geständnis überraschenderweise widerrufen hat, sah sich das Prätorat gezwungen, nochmals sämtliche Punkte der Anklage sowie die bisherigen Aussagen gründlich zu prüfen. Aus dieser Prüfung ergaben sich eine Reihe neuer Fragen, die nun an die Inquisitin Bunk zu stellen sind, sollte sie auf ihrem unerklärlichen Widerruf bestehen. So beginne ich sogleich mit der ersten Frage: Besteht die Inquisitin Ilsabe Bunk auf den Widerruf all ihrer bisherigen Geständnisse?«
    Bunk schaute unruhig von einem zum anderen. Was ging hier vor sich? Sie hatte doch laut und deutlich bereits vor zwei Tagen alles widerrufen. Warum wollte der Prätor das nun in Zweifel

Weitere Kostenlose Bücher