Schandweib
Jürgens sie betrogen hatte, noch dazu mit dem Jähner? Wie viel Hass musste man in sich haben, um so weit zu gehen? Aber auch Wilken hatte so einiges geboten. Sein gefordertes Strafmaß war hoch. Zweifelsfrei wollte er das ganz große Spektakel. Wenn er damit durchkam, und da bestand bei diesen Schöffen kaum Zweifel, würde es ein riesiges Ereignis für Asthusen und seine Knechte werden. So mancher Silberling dürfte dann in den Taschen des Frohns klimpern.
Nichts passte in diesem Fall so recht zusammen. Zwar gab es eine Tote, aber die, die sie sein sollte, konnte sie nicht sein. Doch das wollten die, die es gekonnt hätten, nicht bezeugen. Dann gab es auch Beschuldigte. Doch keiner von ihnen hatte einen triftigen Grund für diese Tat. Ja, der angebliche Mörder hatte bei seiner ersten Vernehmung nicht einmal im Entferntesten daran gedacht, dass man ihm einen Mord zuschreiben wollte.
Und die Bunk? Zuerst hatte sie sich mit Händen und Füßen gegen alle Vorwürfe gewehrt, dann ihre Rache an ihrer ehemaligen großen Liebe gesucht, um sich schließlich wieder einesBesseren zu besinnen und zu widerrufen. Was hatten sie in der Folterkammer nur mit ihr gemacht, dass sie auf einmal bereit war, ihr und das Leben der beiden anderen auszulöschen?
Und wo stand er selbst in diesem Szenario? Wilken hatte ihm diesen Fall aufgedrängt. Doch kaum hatte er sich innerlich dazu durchgerungen, ihn ernst zu nehmen und Bunk zu verteidigen, da bremste man ihn aus. Schließlich war er sogar brutal zusammengeschlagen worden. Er hätte tot sein können, hätte ihn Asthusens Knecht nicht gefunden.
Wer war diese Bunk, und was hatte es mit den Briefen auf sich? Ihm hatte sie nur gesagt, sie sei ein einfacher Bote gewesen. Aber gab man so geheimnisvolle, ja, wohl auch wichtige Schreiben irgendeinem einfachen Boten? Wer wäre so leichtsinnig? Nun gut, Bunk konnte nicht lesen, so vermochte sie mit den Briefen auch nichts anzufangen. Vielleicht konnte man auch nicht ahnen, dass sie so unzuverlässig war.
Wrangel schmerzte der Kopf. Es half ja doch alles nichts. Dieser Fall würde auf dem Richtplatz enden, genau so, wie er es am meisten verabscheute. Vielleicht war das Amt eines Prokurators doch nicht das Richtige für ihn und er sollte zurückkehren an die Universität. Missmutig stampfte er mit dem Fuß auf und trat gegen einen lockeren Erdklumpen, der auf dem schmalen Weg lag.
»Sachte, sachte, der Herr. Dies ist kein Weg für jedermann. Doch wenn Ihr schon meint, ihn nehmen zu müssen, so richtet nicht auch noch Schaden auf ihm an, denn davon haben wir auf diesen Wallanlagen schon genug.«
Wrangel schaute auf. Vor ihm stand ein rundlicher älterer Wachmann. Er hatte ein freundliches Lächeln auf seinem runzeligen und wettergegerbten Gesicht.
»Entschuldigt den Tritt, Wachmann. Aber heute scheint kein guter Tag zu sein.«
»Das könnt Ihr wohl laut sagen. Der Regen schlägt aufs Gemüt. Der Boden ist schon so durchnässt, dass die Hänge am Wall abzurutschen drohen.«
»Aber die Wälle sind doch eine solide Konstruktion aus Holz und Stein. Wie können die abrutschen?«
»Nicht das Mauerwerk selber, Herr. Aber diese Erdwälle, auf denen wir beide gerade stehen, die den Graben schützen sollen, damit sein Wasser nicht über den Grasbrook abfließt.« Der Wachmann schnäuzte sich laut, sichtlich zufrieden, auf seiner eintönigen langen Runde in Wrangel eine kleine Abwechslung gefunden zu haben. »Ich sag Euch, Herr, diese Wallanlagen sind verflucht.«
Wrangel schaute den rundlichen Mann erstaunt an. »Verflucht? Ich dachte, sie sind der Stolz und Schutz Hamburgs. Warum sollten sie da verflucht sein?«
»Nun, seit Monaten, ach, zwei Jahre sind es schon fast, passieren hier immer wieder unheimliche Dinge, die von sich reden machen.« Er warf Wrangel einen verschwörerischen Blick zu. »Es begann im Winter vor zwei Jahren, dass wir Wachleute auf unserem Rundgang hier vor der Ericus-Bastion vier tote Schafe mit aufgeschlitzten Kehlen fanden. Sie sahen aus, als hätten Juden sie geschächtet. Die ganze Stadt war damals in Aufruhr, fürchteten doch die abergläubischen Leute, dass als Nächstes kleine Kinder geschlachtet werden würden.«
Wrangel schaute ihn skeptisch an.
»Aber damit begann die Reihe von Unheimlichkeiten ja erst. Vier Monate später in der Karwoche brannte des Nachts ein großes Holzkreuz auf der Rudolphus-Bastion . Niemand wusste, wie es dort hingekommen war, aber alle fürchteten, dass wieder die Juden oder gar Satan
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