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Schandweib

Schandweib

Titel: Schandweib Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Weiss
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Welt der Zeichen vertiefen, genehmigen wir uns zunächst ein Glas Portwein. Der regt die Lebensgeister an.« Abelson stand auf und führte Wrangel hinüber in den Salon. Wieder standen eine Karaffe Portwein und zwei Gläser bereit. »Erzählt mir doch noch einmal in Ruhe, wie Ihr überhaupt auf die Idee mit den Wallanlagen als riesige Chiffrierscheibe gekommen seid.«
    »Der Wachmann, den ich auf dem oberen Pfad der Wallanlagen traf, erzählte mir, dass er die Anlagen für verflucht halte. Er sprach von ihnen als einem Ring mit spitzen Zacken und verglich seine Wachgänge mit einem Uhrzeiger, der um das Zifferblatt kreist. Als ich mir sein Bild vorzustellen versuchte, sah ich auf einmal eine große Scheibe vor mir wie jene von diesem Italiener, von der Ihr spracht.«
    »Leon Battista Alberti.«
    »Genau. Dann fiel mir Euer Stich von der Wallanlage wieder ein, die mich an einen Igel erinnert hatte. Jetzt sah ich die Scheibe in ihr.«
    »Aber wieso hielt der Wachmann die Anlagen für verflucht?«
    »Er sprach von all den Unglücksfällen, die in der Vergangenheit dort passiert sind. Die kopflose Leiche zählte er auch gleich hinzu, obwohl sie doch gar nicht auf dem Wall gefunden wurde.«
    »Wohl aber in der Nähe des Walles«, überlegte Abelson und trank noch einen Schluck Wein.
    »Ja, am Abort vor der Bartholdus-Bastion, direkt auf dem Schweinemarkt.«
    »Und was für Unglücke nannte er noch?«
    Wrangel war es etwas unangenehm, Abelson gegenüber von den judenfeindlichen Beschimpfungen zu reden. Das abergläubische Geschwätz der Leute gegen Andersartige hatte ihn schon immer gestört, darum wollte er es nicht noch selbst verbreiten. »Er sprach von dem Diebstahl von Jastrams Kopf am Millerntor und auch von dem Feuer auf der Vincent-Bastion.«
    »Das stimmt, es häuft sich. Im letzten Jahr gab es mehrere Vorfälle, die wohl die Juden in Verruf bringen sollten. So fand man beispielsweise geschächtete Schafe an der Wallmauer. Und dieses Jahr, kurz vor Pessach, wurden die Türen irgendeiner Bastion mit Blut beschmiert. Alles unschöne Ereignisse, die unser unauffälliges, ruhiges Leben hier gefährden.«
    »Es war die Bartholdus-Bastion, die in der Nacht nach Palmsonntag beschmiert wurde. Der Wachmann erwähnte es auch. Aber was hat das mit unseren Briefen zu tun?«
    »Ich weiß es nicht. Doch der Wachmann hat recht. Bei so vielen Unglücksfällen kommt man schnell auf die Idee, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, ja, dass die Wälle mit einem Fluch belegt sind.«
    Wrangel trank einen Schluck Portwein und griff dann nach dem unverschlüsselten Brief. »Hieronymus trifft Nikolaus am 7. April zum Mittag. Hm. Wo liegt die Hieronymus-Bastion genau und wo die Nikolaus-Bastion ?«
    Die beiden Männer gingen wieder zurück ins Arbeitszimmer und vertieften sich erneut in den Stich der Wallanlagen an der Wand.
    »Hier oben, östlich der Vincent-Bastion«, erläuterte Abelson. »Nach ihr kommt die Sebastianus-Bastion , dann die Bartholdus-, die Erikus- und hier die Nikolaus-Bastion.«
    »Die Bartholdus-Bastion  das könnte es sein! Abelson, schaut her! Die Bartholdus-Bastion liegt genau in der Mitte zwischen der Hieronymus- und der Nikolaus-Bastion. Und am Montag nach Palmsonntag, einen Tag bevor das Essen stattfinden sollte, ist sie blutverschmiert. Das ist es!«
    Abelson schaute den jungen Mann prüfend an. »Was ist es?«
    »Die Lösung, Abelson, die Lösung! Kommt, wir wollen den chiffrierten Brief noch einmal untersuchen.«
    »Wonach?«
    »Nach der Bartholdus-Bastion. Ich meine, wir versuchen ihn damit zu knacken.«
    »Wieso Bartholdus?«
    »Sie war markiert, kurz vor dem Tag, an dem das Essen stattfinden sollte.«
    Abelson schüttelte irritiert den Kopf.
    »Ihr sagtet doch, man soll auf kleine Zeichen achten. Seht her. Palmsonntag war am 5. April. Am 6. April waren die Türen der Bartholdus-Bastion verschmiert und erregten so viel Aufsehen, dass es wie ein Lauffeuer durch die Stadt ging. Wir haben es nicht mit einem Fluch zu tun, Abelson, sondern mit einer Markierung! Die Unglücke sind Markierungen auf der Scheibe!«
    Abelson begriff. Hastig breiteten sie den chiffrierten Brief auf dem Schreibtisch aus und schrieben »Bartholdus« auf ein leeres Blatt.
    »Zehn Buchstaben, drei davon Vokale, keine Dopplungen.«
    »Lasst uns mit ›B‹ als erste Transposition beginnen«, sagte Wrangel.
    Emsig machten sich die beiden Männer über die chiffrierten Zeilen her.
    »Vzkrufn das ist wirr.« Abelson kniff die Augen

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