Schandweib
der Küchenhoheit.«
Über Esther Levis Gesicht breitete sich ein zufriedenes Lächeln aus, und sie erzählte dem Hamburger Gast umständlich von den einzelnen Verarbeitungsschritten, denen der Braten unterworfen war, bevor er auf den Tisch gelangte. Mit der reinen Schächtung war es schließlich noch lange nicht getan, ein Stück Fleisch koscher zu machen. Nach dem gründlichen Beschnitt musste noch das häusliche Salzen und Waschen folgen, bis es endlich den Vorschriften genügte.
Ruth hingegen hätte lieber mehr über die jüngsten politischen Entwicklungen in Europa erfahren als über koschere Küchenkunst. Aber in diesem Kreis war nicht daran zu denken, ihren Vater ausführlicher auszufragen. Spätestens auf einem ihrer gemeinsamen Spaziergänge in den nächsten Tagen würde sie jedoch das Thema wieder aufgreifen. Bis zu ihrer Rückreise, die sich nun wohl noch um einige Wochen verschieben konnte, wollte sie damit zumindest nicht warten. So traurig diese Verzögerung einerseits war, so viel Zeit gab sie ihr andererseits, die Antwort für ihren Vater hinauszuschieben.
Moses Abelson lauschte ebenfalls schweigend den Ausführungen von Frau Levi. Nach einer Weile, als das Gespräch schon von der Essensbereitung zu den neuesten gesellschaftlichen Attraktionen Amsterdams fortgeschritten war und man sich über das aktuelle Opernprogramm austauschte, wandte er sich an Jakob Levi.
»Einige Finanzierungsanfragen werden nicht mehr lange auf sich warten lassen, oder was meint Ihr, Jakob? Was Lorenz aus Hamburg berichtet, sollte man nicht unbeachtet lassen. Wird Hamburg blockiert, ist der schnelle Weg zur Ostsee und zu den baltischen Häfen im Westen des Russischen Reichs eingeschränkt, und die Dänen werden am Skagerrak sicherlich keine Sonderkonditionen bieten. Die Levante ist von dem Streit um die spanische Krone bedrängt, und sollte sich der Konflikt ausbreiten, wird die Nachfrage nach Söldnern bald ins Unermessliche steigen, ebenso wie die Preise. Was glaubt Ihr?«
»Ihr seid schnell im Überschlagen, Herr Abelson«, mischte sich Benjamin in die Andeutungen des Hamburger Bankiers. »Und Ihr tut sehr wohl daran. Wenn Ihr mögt, setzen wir uns morgen früh zusammen und kalkulieren einige mögliche Szenarien durch.«
Ruth bemerkte, wie Benjamins Augen leuchteten, als er ihren Vater auf mögliche Geschäftsoptionen ansprach. Es war unverkennbar: Spannende Geschäfte beseelten ihn. Mit Sicherheit würde Benjamin einen erfolgreichen Weg als Bankier weitergehen. Eine bessere Partie ließ sich wohl kaum machen. Aber würde ihr das reichen für ihr Leben?
Dienstag, 26. Oktober 1701
6
E ilig verließ Hinrich Wrangel um kurz nach elf Uhr das Niedergericht und drängte sich an vielen Menschen vorbei durch die Große Johannisstraße zum Berg . Eigentlich durfte er sich nicht so früh von seinen Akten davonmachen, aber er musste an die arme Alte denken, die hungrig und frierend in der Frohnerei hockte und auf Neuigkeiten in ihrem Fall wartete. Fröstelnd hauchte er sich den warmen Atem in die Hände und stampfte mit den Stiefeln kräftig auf, um seine Zehen zu wärmen. Letzte Nebelschwaden lösten sich in der kalten Herbstsonne nur widerstrebend auf.
Die vergangenen neun Monate in Hamburg hatte Wrangel in einem sich wiederholenden Gleichklang verbracht, der von den Tagen bei Gericht, dem Studium juristischer Lektüre und einem bescheidenen Privatleben bestimmt war. Die Fälle, an denen er bisher mitgearbeitet hatte, waren hauptsächlich strafrechtlicher Natur. Das lag nicht unbedingt daran, dass er sich so für das Strafrecht begeisterte, aber sobald ein Fall auch nur einen mäßigen Profit versprach, rissen sich seine Kollegen darum wie die wilden Hunde um einen Knochen. So ein Gebaren war ihm zutiefst zuwider. Vielleicht hatte er deshalb auch noch nicht so viele nähere Bekanntschaften in Hamburg gemacht. Einen ganzeigenen Fall hatte er noch nicht bekommen. Prätor Wilken war in diesem Punkt sehr zurückhaltend und vertrat die Meinung, dass ein junger Prokurator erst einmal gründlich das praktische Handwerk lernen sollte, bevor er sich vor Gericht beweisen konnte. Sicherlich meinte er es nur gut mit Wrangel. Überhaupt kümmerte sich Wilken bei Gericht fast fürsorglich um ihn und verriet ihm nebenbei so manchen juristischen Winkelzug.
Wrangel wusste das zu schätzen, denn er liebte das juristische Handwerk von ganzem Herzen. Doch er kam nicht umhin zu leugnen, dass er immer stärker den Drang verspürte, seine
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