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Schandweib

Schandweib

Titel: Schandweib Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Weiss
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Fähigkeiten vor Gericht zu beweisen. Die vergangenen Jahre an der Universität hatten ihr Übriges getan, ihn von dem kaufmännischen Lebensstil seiner Jugend zu entfremden, und er hatte sich eine materielle Bescheidenheit angeeignet, die seinem intellektuellen Leben gut anstand. So hatte er bei einer Witwe in der Rosenstraße lediglich zwei Zimmer und eine kleine Kammer im ersten Stock angemietet. Die alte Frau war stolz, ihn zu beherbergen. Mit einem Prokurator bei Gericht als Logiergast in ihrem Haus konnte sie gut in der Nachbarschaft prahlen. Wrangel genoss dadurch zahlreiche häusliche Annehmlichkeiten, wie die Reinigung seiner Zimmer und des Nachtgeschirrs, gute Mahlzeiten, kleinere Einkäufe und sogar das Annähen von Knöpfen und das regelmäßige Fetten der Stiefel. Aber die Alte war anstrengend. Sie war davon überzeugt, dass er bei Gericht Einblick in schreckliche und kuriose Dinge haben musste. Ständig versuchte sie ihn deshalb als Quell für Klatsch und Gerüchte auszuhorchen, mit denen sie ihre Zuhörerschaft unter den Nachbarn zu versorgen gedachte.
    Wrangel schmunzelte bei dem Gedanken, welchen Schauder ihr sein heutiger Besuch beim Henker bereiten würde, sollte er ihr davon erzählen. Mit großen Schritten eilte er entlang der engbeieinanderstehenden Häuser Richtung Norden. Schon sah er den kleinen Hügel vor sich.
    Die Frohnerei lag genau in der Mitte eines von zweistöckigen Häusern gesäumten Platzes. Neben dem Wohnhaus und Amtssitz des Frohns Ismael Asthusen gehörte ein weiteres kleines Gebäude zu ihr, in dem der Karren für die Abdeckerei und den Transport von Verurteilten sowie Werkzeuge für die Hinrichtung und Folter untergebracht waren. So gepflegt das Haus des Scharfrichters mit der ständig aufgefrischten weißen Tünche auch aussah, stets haftete ihm der Geruch nach Angst, Blut und Exkrementen an, der Wrangel selbst bei dieser Kälte förmlich in der Nase hing. Hinzu kam der Gestank fauligen, mit menschlichen Ausscheidungen durchsetzten Strohs, der aus dem Verlies der Gefangenen unter dem Haupthaus emporstieg und selbst für Hartgesottene schwer zu ertragen war. Grundlos kam niemand der Frohnerei zu nah. Sogar die Anordnung der anderen Häuser des Platzes erweckte den Eindruck, als suchten sie den größtmöglichen Abstand zum Haus des Henkers, um jegliche Berührung mit ihm zu meiden. So wie auch ihre Bewohner diesen Nachbarn mieden. Galt doch die Hand des Henkers als unrein, sein Handwerk als unehrlich und er selbst als mit dunklen Mächten im Bunde sowie mit geheimnisvollen Kräften und Kenntnissen beschlagen. Ging der Henker durch die Straßen, bildete sich um ihn wie um sein Haus auf dem Berg sogleich ein Kordon. Schon von weitem sprang jedem sein roter Rock und Umhang ins Auge, die er anlegen musste, wenn er das Haus verließ. Die Leute steckten die Köpfe zusammen und raunten sich schaudernd seinen Namen zu.
    Beim Gedanken an den Aberglauben der Leute schnaubte Wrangel verächtlich. Ihm persönlich lag es fern, die Ehre eines Menschen derart von seinem Beruf abhängig zu machen, wie beiGerbern, Totengräbern oder Schäfern üblich. Aber damit war er seiner Zeit weit voraus, und er wusste nur zu genau, dass er seine Einstellung nicht öffentlich aussprechen durfte.
    Wrangel mochte Asthusen. Anständig und gutmütig war der Mann, soweit es sein Handwerk eben zuließ. Regelmäßig ging der Advokat zu ihm und besprach bei einem Krug Bier die Angelegenheiten in der Stadt, die sie beide miteinander verbanden. Auch über Wrangels Mandanten, die als Gefangene im Verlies auf ihre Gerichtsverhandlung warteten, redeten sie wie die Alte, die wegen Mundraubes gerade hier einsaß.
    Als Mitglied des Niedergerichtes konnte sich Wrangel aber nicht zu offensichtlich über den althergebrachten Aberglauben der Leute hinwegsetzen. Denn der Umgang mit dem Henker schadete der Standesehre. Wrangel wusste, dass er seine Akzeptanz als Prokurator und Advokat nicht leichtfertig aufs Spiel setzen durfte. Darum musste sein Kontakt zu Asthusen stets im Rahmen des Berufes eingebunden sein.
    Mit festem Schritt ging er auf die Tür des Haupthauses zu und klopfte.
    Asthusens Kopf tauchte am Fenster auf, er nickte kurz und öffnete wenig später die Tür. »Willkommen, Prokurator Wrangel, tretet ein und sagt, was Euch zu mir führt«, brummte der Scharfrichter und winkte Wrangel in seinem dicken Wollmantel ins Haus.
    »Guten Tag, Meister Ismael, Recht und Gesetz führen mich her, wie es mein Amt

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