Schandweib
der russische Zar Peter bereits seit einem knappen Jahr mit Hamburger Geld über London seine bei Narwa verlorene Artillerie kontinuierlich ersetze. Dazu soll er sein Offizierskorps mit ausländischen Kräften neu bestückt haben, deren Sold ebenfalls mit Hamburger Geld bezahlt werde. Es geht hier um wahrlich große Summen, wie Ihr Euch denken könnt. Wenn dieses Geld wahrhaftig aus Hamburg kommt, dann füttern wir mit der linken Hand den Feind, den die rechte abwehrt. Mit der Hamburger Neutralität aber ist es dann auf jeden Fall vorbei. Das wiederum gefährdet den Hamburger Anspruch auf Reichsunmittelbarkeit. Schließlich bekämpfen die Dänen schon seit Jahrzehnten unseren Status als Reichsstadt und wollen uns ihrem Königreich einverleiben. Wenn finanzstarke Kräfte innerhalb Hamburgs diese Tendenzen fördern, haben wir den Feind im eigenen Haus, und das könnte das Ende für unsere Freiheit und Unabhängigkeit bedeuten.«
»Ihr habt recht, Abelson, es hört sich nicht gut an, was Ihr zu berichten habt. Hamburg kann sich keine Schwäche nach außen leisten, reichen doch schon die inneren Spannungen und der ständige Streit zwischen dem Rat und der Bürgerschaft. Der Rezess, dem sich der Rat auf Druck der Bürgerschaft vor zwei Jahren unterwerfen musste, hat nicht die erhoffte Ruhe gebracht. Zwar liegt die Herrschaft jetzt wieder bei den mittelmäßig Begüterten, aber sie schaffen es einfach nicht, die Stadt voranzubringen. Die Patrizier haben das Nachsehen. Mein Onkel beschwert sich regelmäßig über die unausgegorene Politik, welche Männer wie Pastor Mayer von St. Jacobi betrieben haben. Es reicht eben nicht allein, orthodoxer Lutheraner zu sein, auch die ökonomischen Interessen der Stadt sind immer im Auge zu behalten.«
»Nun ist ja Pastor Mayer schon seit einigen Wochen aus der Verantwortung, aber sein Nachfolger, Pastor Krumbholtz von St. Petri, scheint die Konfrontation mit dem Patriziat unbeirrt fortzuführen. Sosehr man auch den Rat missbilligen mag, ohne ihn hat Hamburg keine Zukunft.«
»Das sagt Ihr, verehrter Abelson«, warf Wrangel ein, »der Ihr als Jude noch nicht einmal die Bürgerrechte dieser Stadt erwerben dürft, ganz gleich, mit wie viel Geld und fachkundiger Hilfe Ihr Hamburg zur Seite steht.«
»Ja, Prokurator, auch meine Zukunft liegt in dieser Stadt. Ich habe hier mein Geld investiert in der Hoffnung, dass der Geist der Freiheit und der ökonomischen Vernunft, der seit jeher Hamburg geprägt hat, auch eines Tages mir und meiner Familie eine Zukunft als freie Hamburger Bürger bietet.«
»Die Dänen sind da schon weiter«, gab Wrangel zu bedenken. »In Altona und Glückstadt dürfen Juden Grund und Boden sowie Bürgerrechte erwerben.«
»Aber doch nur, um das jüdische Geld aus Hamburg anzulocken. Altona und Glückstadt werden einer Stadt wie Hamburg niemals den Rang ablaufen können, wenn sich die Hamburger wieder auf ihre Stärke der Selbstbestimmung besinnen und ihr Handeln konzentriert nach dem Wohl der Stadt und nicht nach den Interessen einzelner Parteien ausrichten. Diese Art der Freiheit ist es, Prokurator, an die ich glaube und in der ich eine Zukunft für meine Familie sehe.«
»Aber diese Freiheit steht auf dem Spiel, sollte sich das bewahrheiten, wovon Ihr uns gerade berichtet habt, verehrter Abelson«, mischte sich Claussen ein. »Als Bürger der Stadt bin ich besorgt und frage mich, wer zu so einem Verrat fähig wäre. Ich kann es mir von keinem Patrizier vorstellen, weiß doch jeder von ihnen, was es hieße, unter dänische Herrschaft zu fallen. So will ich beten und hoffen, dass Ihr Euch irrt und die Gerüchte sich zu Recht im Sande verlaufen.«
»Aber leider, lieber Vikar, gibt es immer wieder Menschen, denen die persönliche Bereicherung wichtiger ist als das Wohl ihrer Heimat. Doch ich hoffe mit Euch.«
Abelson nippte mit müdem Blick an seinem Kaffee, den ihm der Wirt an den Tisch gebracht hatte. Auch Wrangel hielt sich an seiner Kaffeetasse fest. Das Hemd ist dem Menschen nun einmal näher als der Rock, dachte er, nicht nur in der Frage des Geldes, auch im persönlichen Wohl und Wehe. Er selbst hatte es am Tag zuvor erst zur Genüge gelernt. Jeder hatte nur seinen eigenen kleinen Vorteil im Sinn, keiner das große Ganze. Und er selbst? Dachte er wirklich an das Recht oder auch nur an den eigenen kleinen Vorteil, den Fall in seinem Sinne erfolgreich abzuschließen, um mit sich selbst und seiner Weltsicht zufrieden sein zu können? Und Abelson, dachte der
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