Schandweib
wirklich an das Wohl Hamburgs oder auch nur an seines und an das Geld, das er anscheinend in Hamburger Geschäfte angelegt hatte? Viel Glaube undHoffnung täten not, damit auch der Rock dem Menschen einmal näher käme.
»Die Geschäfte warten, liebe Freunde, ich muss mich wieder auf den Weg machen«, unterbrach Abelson Wrangels Gedanken. »Aber bevor ich gehe, darf ich Euch bitten, verehrter Prokurator, auf Eurem Weg nach Hause kurz bei mir vorbeizukommen, da ich noch eine Kleinigkeit für Euch habe als Dank für Eure liebenswürdige Reisebegleitung meiner Tochter.«
»Sehr gern, Herr Abelson, es wird mir eine Ehre sein.«
»Gut, dann erwarte ich Euch heute Abend. Ruth wird sich auch freuen zu sehen, dass es Euch wieder bessergeht. Sie war sehr in Sorge.«
Kaum war Abelson gegangen, grinste Claussen schelmisch zu Wrangel hinüber. »Ich sehe in Eurem Gesicht geschrieben, dass die Freude gegenseitig ist. Nehmt mein Grinsen gelassen, lieber Freund. Ich freue mich nur, dass die liebenswerte Ruth es schafft, Euren Gedanken und – wenn ich mich nicht irre – auch Gefühlen neue Horizonte zu öffnen.«
»Was meint Ihr damit?«
»Nichts weiter als das, was ich sagte. Ich ahne nur, dass Ihr bezüglich Eurer Gefühle tatsächlich Eure innere Freiheit zurückgewinnt. Aber achtet darauf, dass Ihr sie nicht gleich wieder verliert. Ruth ist nicht nur das behütete Kleinod ihres Vaters. Sie ist auch Jüdin, was einer Verbindung so manchen Stein in den Weg legen kann.«
»Claussen, ich muss Euch doch sehr bitten! Eure Phantasie geht mit Euch durch.« Wrangel spürte die heiße Röte, die bei Claussens Worten in sein Gesicht geschossen war.
»Keineswegs. Hätte ich mich nicht der Theologie verschrieben und stünde ich nicht kurz vor der Berufung zum Pastor, so würde ich meinem Herzen auch gern die Zügel schießenlassenfür dieses entzückende Mädchen. Aber eine Jüdin ist in einem Hamburger Pastorat nicht denkbar.«
»Ich bin müde, Claussen, und nicht zu Euren Hirngespinsten aufgelegt. Lasst uns gehen.«
»Nichts für ungut«, lächelte der Vikar vielsagend und schlug seinem Freund auf die Schulter.
Wrangel zuckte zusammen. Die noch nicht ganz verheilte Wunde unter seinem Hemd brannte.
54
G erade hatten die Glocken sechs Uhr geläutet, als Wrangel vor dem Haus, in dem Abelson in der Kleinen Johannisstraße wohnte, ankam. Gemäß ihrer Gewohnheit hatte er zuvor Claussen zurück nach St. Katharinen begleitet. Doch auf dem Weg tauschten sie nur noch Belanglosigkeiten aus. Jetzt, vor der schweren Haustür mit einem Löwenkopf als Klopfknauf, packte ihn eine leichte Unruhe. Er freute sich auf Ruth, wollte es sich aber nicht anmerken lassen.
Kaum hatte er den Löwenkopf auf die Eichentür geschlagen, als diese sich auch schon öffnete und Jurek ihn freundlich empfing. Nachdem er seinen Mantel abgelegt hatte, führte der Diener ihn in den Salon, wo sogleich Abelson auf ihn zukam.
»Ich freue mich, Prokurator, dass Ihr nicht gezögert und noch diesen kleinen Umweg hierher unternommen habt. Darf ich Euch ein Glas Portwein anbieten, den mir mein Schwager regelmäßig aus Lissabon zukommen lässt? Ein köstliches Getränk, in dem die schwere Süße des Südens eingefangen ist.«
»Sehr gern, Herr Abelson.«
Wrangel ließ seinen Blick neugierig durch den Salon streifen.Er war für Hamburger Verhältnisse ungewöhnlich eingerichtet. Seine Aufmerksamkeit wurde besonders von einer mittelgroßen Holztruhe angezogen, deren auffallende Maserung unter der blank polierten Oberfläche schimmerte und deren Ränder fremdartige Schnitzereien schmückten, welche sich wie ein Ornamentkranz um die Truhe schlangen. Über der Holztruhe hing ein in Öl gemaltes Stillleben aus Südfrüchten, die auf einem Tisch vor einem filigran bemalten Porzellankrug drapiert waren. Die Früchte waren derart appetitlich arrangiert dargestellt, dass Wrangel regelrecht Lust bekam, sie zu kosten.
»Sie sind zum Hineinbeißen, nicht wahr?«
»Ja, wirklich. Eine ausnehmend anziehende Komposition. Von wem stammt dieses Bild?«
»Von einem Meister des Lichts aus den Niederlanden. Willem Kalf ist sein Name. Mein Sohn Daniel hatte die Ehre, ihn in Amsterdam persönlich kennenzulernen. Er war so beeindruckt von Kalfs Kunst, dass er dieses Stillleben als Geschenk für seine Mutter und mich erwarb. Leider konnte er es uns nicht mehr persönlich geben. Er kam nur kurze Zeit später in Amsterdam ums Leben.«
»Das tut mir sehr leid für Euch, Herr Abelson.«
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