Schandweib
durchwühlten meine Taschen, und ich hörte, wie der eine den anderen anhielt, besonders auf die Briefe zu achten. Daraus schließe ich, dass ich nicht aus Zufall überfallen wurde und dass die Briefe, die ich fand, eine Bedeutung haben müssen. Ob dies allerdings auch für diese beiden Schreiben gilt oder nur für jene, die meine Mandantin an ihre damalige Geliebte schrieb und die die Kerle an sich nahmen, vermag ich nicht zu sagen, wage es aber zu vermuten.«
Abelson nickte bedächtig und trank noch einen Schluck Portwein. »Aus meiner langen Lebenserfahrung heraus teile ich Eure Vermutung, Prokurator. Auch darum erwähnte ich heute Nachmittag im Kaffeehaus nicht den tatsächlichen Grund, weshalb ich Euch sprechen wollte. Ich habe viele Jahre an der Börse in London gearbeitet und in dieser Zeit Bekanntschaft, um nicht zu sagen Freundschaft mit einem sehr begabten Mathematiker geschlossen. Sein Name ist Sir John Wallis . Seine mathematischen Fähigkeiten und meine Marktkenntnisse haben uns geschäftlich gut miteinander arbeiten lassen. Weitaus faszinierender fand ich jedoch Wallis begnadetes Talent für Dechiffrierungen. Er ist ein wahrer Meister darin, verschlüsselte Zeichen zu erkennen und zu deuten. In vielen langen Gesprächen habe ich mich von seinen Fähigkeiten auf diesem Gebiet immer wieder überzeugen können und durfte auch so einiges über die Kunst der Kryptoanalyse, wie man im Griechischen sagt, erfahren. Schon Cromwell wusste Wallis’ Fähigkeiten sehr zu schätzen und beschäftigte ihn ausgiebig mit der Entschlüsselung geheimer Nachrichten, die seine Wachen und Späher abfingen. Im Sommer 1645 gelang es Wallis, abgefangene Briefe von König Charles an seine Frau zu entschlüsseln. Sie bewiesen, dass er an einem Komplott gegen das englische Parlament beteiligt war, und halfen mit, ihn zu Fall zu bringen. Ein weiterer großartiger Coup gelang Wallis 1689, als man ihm die verschlüsselte Korrespondenz des französischen Königs an den französischen Botschafter in Polen vorlegte. Er selbst fand diese Leistung nur durchschnittlich, wie er mir erzählte, da man im französischen Königshaus nach dem Tod des meisterhaften Verschlüsselers Antoine Rossignol zu häufig auf dessen Erfindung der großen Chiffre, einem nicht zu entschlüsselnden Nomenklator, verzichtete und damit selbst schuld an der so entstandenen Vereinfachung des Codes war. Offiziell redet man bis heute nicht von diesem Coup. Nicht aber, weil er so durchschnittlich war, sondern weil sich seine politischen Auswirkungen als so gravierend erwiesen. Ludwig XIV. plante nämlich eine heimliche Allianz mit dem polnischen König gegen Preußen, wie sich in seiner Korrespondenz zeigte. Doch das entsprach nicht den Interessen des englischen Königs. Wilhelm ließ die Sache geschickt an die Öffentlichkeit bringen und vereitelte somit das Bündnis. Preußen rüstet seitdem weiter kontinuierlich auf und ist höchst wachsam gegenüber Frankreich. So hat Friedrich in den letzten Jahren alle Hebel in Bewegung gesetzt, um aus seinem Kurfürstentum Brandenburg und seinem Herzogtum Preußen ein Königreich zu schmieden. Anfang dieses Jahres endlich hatte er Erfolg und ließ sich in Königsberg zu Friedrich I. König in Preußen krönen. Zu höheren Zugeständnissen, etwa einem König von Preußen, waren weder der Kaiser noch der deutsche Klerus bereit. Dabei hatte ihnen Friedrichihre Zustimmung schon vergoldet. Man munkelt, dass gut zwei Millionen Dukaten aus der preußischen Schatulle an Kaiser Leopold I. flossen und auch der Klerus mehr als fünfhunderttausend Dukaten eingesackt haben soll. Einige sprechen sogar von sechshunderttausend. Und die Jesuiten haben die Hände natürlich auch aufgehalten. Aber wie viel in deren Säckel fiel, ist mir nicht bekannt. Ihr seht hier aber, welche Folgen gelüftete geheime Botschaften haben können.«
Wrangel schaute Abelson mit großen Augen an. »Und Ihr glaubt, dass die Briefe, die ich fand, solche Dimensionen erlangen können?«
Abelson schmunzelte. »Ich weiß nicht, was ich glauben soll, Prokurator, denn ich weiß nicht, was in ihnen steht. Auf jeden Fall aber ist es etwas, was nicht jedermann erfahren soll. Sonst hätte man sich nicht die Mühe machen müssen, es zu verschlüsseln.«
»Ja, vielleicht bergen diese Briefe wirklich ein Geheimnis, das helfen könnte, die vielen Unstimmigkeiten, welche in dem mir anvertrauten Fall aufgetreten sind, zu lüften. Glaubt Ihr, dass es Euch möglich ist, die
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