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Schandweib

Schandweib

Titel: Schandweib Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Weiss
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Gespräch mit ihrem Vater, das in diese Richtung deutete, ausgewichen war.
    »Und, hast du dir ein Bild von ihm gemacht?«
    Stumm und reglos starrte Ruth auf das Schachbrett. Weiß hatte zwischenzeitlich eine solide Angriffsposition aufgebaut. Wenn sie jetzt nicht aufpasste, wäre sie spätestens in fünf Zügen matt.
    »Hat Benjamin sich denn um deine Gunst bemüht? Hat er dir seine Aufmerksamkeit, seine Zuneigung gezeigt?«
    Ruth schlug die Augen nieder, schluckte und nickte fast unmerklich.
    »Dann habe ich doch die Information, die mir noch fehlte.« Er zog den Turm auf g3. »Schach, mein Kind.«

Donnerstag, 28. Oktober 1701
10
    A m späten Vormittag schlenderte Wrangel über den Hopfenmarkt vor der Nikolaikirche . Nach dem läuternden Gespräch mit Claussen am Vorabend fühlte er sich seltsam aufgeräumt und befreit. Es blieb ihm noch etwas Zeit, bis er in der Frohnerei seine erste eigene Mandantin begutachten und hören würde, was sie zu ihrer Verteidigung beizutragen hatte.
    Herrliches Herbstwetter hatte sich über Hamburg ausgebreitet. Der Frühnebel war verschwunden, und die Sonne brach in dicken diesigen Strahlen durch das goldene Laub. Das Wasser der Fleete glitzerte blauschwarz, und rundherum herrschte munteres und geschäftiges Treiben. Plötzlich hörte Wrangel nicht weit von sich das Rühren der Trommeln und erkannte die holprige Stimme des Frohnknechtes Jürgen, der sich redlich mühte, einen Aufruf seines Meisters ohne zu großes Stottern vorzutragen.
    »Kommt, Leute, und bestaunt die unerhörte und schelmenhafte Geschichte und Verhaftung des Monsieur Hinrich, eines Weibes in Manneskleidern! Dem werten Publikum zur Besichtigung in der Frohnerei dringend empfohlene Bigamistin und Messerstecherin! Exzeptionell am Vormittag in der Frohnerei zu besehen!«
    Asthusen hatte also nicht lange gezögert, um aus seinem Neuzugang finanziellen Nutzen zu schlagen. Wrangel spürte ein leichtes Unbehagen beim Gedanken an das angekündigte Spektakel. Er schüttelte sich und lief dann weiter die Stände entlang, die in mehreren Reihen vor der Nikolaikirche aufgebaut waren. Die ersten Marktleute hatten schon mit dem Abbau begonnen. Die Vierländer Bauern in ihren Trachten bemühten sich noch, die letzten Äpfel, Kohlköpfe und Suppenhühner unter lautstarken Anpreisungen und mit Preisnachlass an den Mann zu bringen. Einer alten Bäuerin kaufte Wrangel ein paar Äpfel ab und machte sich dann auf zur Frohnerei.
    Schon von weitem sah er eine Menschentraube den kleinen Platz vor der Frohnerei füllen. Offenbar hatten die Frohnknechte ganze Arbeit geleistet. Die Leute, die vom Markt kamen, und auch die Bauern auf ihrem Heimweg wollten die schaurige Gelegenheit nutzen, dem Verbrechen direkt ins Auge zu blicken. Vor dem Eingang der Frohnerei standen viele Frauen mit Körben voller Einkäufe. Aufgeregte junge Bauern schwatzten in kleinen Gruppen. Wrangel sah auch ein paar Bessergekleidete, die an dem Auflauf und dem Gedränge keinen Anstoß zu nehmen schienen. Ganz vorn hatte jemand, der durch seinen bestickten Rock und ein Schnupftuch, mit dem er vor seinem Gesicht wedelte, als Mann von Adel auffiel, durch seine Diener ein Stück des Platzes freiräumen lassen. Einer der Diener hatte sich bis zur Tür vorgedrängt, um für seinen Herrn bevorzugten Einlass zu erbitten. Wrangel verzog das Gesicht. In Hamburg zählte ein Adeliger nicht per se. Die Stadt war stolz darauf, frei vom Adel und allen Fürsten zu sein. Da würde der edle Herr in seinem bunten Rock schon ein paar Silberlinge springen lassen müssen, wenn er vorgelassen werden wollte.
    Der Prokurator schob sich durch die Menschen hindurch. Andie hundert Schaulustige standen hier herum, keine schlechte Zahl für den ersten Besichtigungstag der Frau in Männerkleidern. Die Tür zur Schankstube stand offen, und Männer in schwerer Bauerntracht kamen ihm mit gefüllten Bierkrügen entgegen. Am Zapfhahn stand einer von Asthusens Knechten. Von dem Scharfrichter selbst war nichts zu sehen. Als der Knecht den suchenden Blick des Advokaten bemerkte, deutete er mit dem Kopf über die Schulter nach oben. Asthusen war also in seinem Arbeitszimmer. Wrangel drängte sich an den Männern vorbei auf den kleinen Flur hinaus und stieg die Treppe hinauf.
    »Herein«, antwortete Asthusen auf Wrangels Klopfen.
    »Guten Tag, Meister Ismael, was für einen Jahrmarkt habt Ihr denn vor dem Haus?«
    »Ach, Prokurator Wrangel, kommt herein. Ja, da ist ordentlich was los. Die Leute wollen das

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