Schandweib
Tisches. »Wie hast du die Überfahrt bezahlen können, nachdem man dir alles genommen hatte, wie du das letzte Mal sagtest?«
»Meine Wirtin war so gut, mir mein Bündel mit meinen Kleidern nachzuschicken. Wie ein kleiner Engel kam mir der Junge vor, der auf einmal an der Kaimauer vor mir stand
«
Die Wellen glitzerten im warmen Septemberlicht, als plötzlich jemand zaghaft an Bunks Schulter tippte. Vom Schreck gepackt, drehte sie sich um.
Der jüngste Sohn ihrer alten Wirtin wich unsicher zurück, unter dem Arm ein kleines Bündel haltend. »Die Mutter hat gesagt, ich soll’s Euch bringen, denn mit uns seid Ihr stets ordentlich gewesen, sodass wir an Euch nicht ehrlos handeln wollen.«
Er reichte ihr zaghaft das Bündel. Bunk erkannte es sofort. Es war ihre alte Kleidung aus Amsterdam, eine Kniehose, ein rotesHemd und ein graues Wams. Schnell tastete sie das Wams ab. Unter den Knöpfen spürte sie drei harte Rundungen. Welch ein Glück, die Golddukaten, ihre Notreserve aus Amsterdam, waren noch da. Wäre sie erst einmal raus aus Glückstadt, konnte sie wieder in ihre gewohnte Haut des Hinrich schlüpfen.
»Danke, mein Junge, Ihr seid gute Leute. Möge der Herr es Euch vergelten.«
Der Junge lächelte verlegen, drehte sich um und verschwand in der Menge. Bunk drückte das Bündel fest an sich und raffte schnell ihr altes Kleid, um an Bord des Ewers zu kommen, der gerade nach Hamburg ablegte. Auch dort würde man zur Zeit der Apfelernte Tagelöhner brauchen.
Mit Hilfe der Golddukaten gelang es Bunk, sich wieder ein passables männliches Äußeres zu verschaffen. Selbst für ein Paar feste Schuhe und einen warmen Umhang für den Winter reichte das Geld. Emilie sei Dank! Sie hatte Bunk stets dazu ermahnt, eine eiserne Reserve im Wams bei sich zu tragen. Man wisse nie, wohin einen das Leben spüle, war ihr Leitsatz dazu.
Wie es ihr wohl ging? Von den Soldaten hatte Bunk gehört, dass die Amsterdamer Polizei den ganzen Sommer über strengste Razzien gemacht hatte, um den städtischen Sündenpfuhl auszutrocknen. Doch wusste im Grunde jeder, dass dieses Gewerbe nicht auszutrocknen war, solange den Männern die Körpersäfte nicht versiegten. So würde auch Madame Emilie über kurz oder lang wieder auf die Beine kommen. Schließlich war sie eine erfahrene Frau und wusste um all die Winkelzüge ihres Geschäftes.
Bunk hingegen musste sich ein neues Auskommen suchen. In Hamburg gab es viele Möglichkeiten, doch gab es auch viele Menschen aus allen Teilen der Welt, die nach Arbeit suchten. Bunk versuchte sich zuerst als Tagelöhner auf dem Scharmarkt .Sie fand auch eine kleine Bude in der Nähe, zwischen dem Brauerknechtgraben und Vorsetzung .
Das neue Leben in Hamburg gefiel ihr, und selbst die harte körperliche Arbeit auf dem Wochenmarkt ging ihr leicht von der Hand. Mit Schwung warf sie sich die schweren Säcke über die Schultern und schleppte sie von den Karren zu den Ständen. Schnell mistete sie die kleinen Gehege der zum Kauf gebotenen Tiere aus, holte Wasser und trug den Köchinnen der Patrizierfamilien die Einkäufe in die Herrenhäuser hinterher. Als der Winter Einzug hielt, verknappten sich Bunks Einkünfte aus dem Tagelohn jedoch zusehends. Alster und Elbe froren zu, und immer seltener schafften es die Ewer noch in den Hamburger Hafen, um die Märkte mit Waren zu versorgen. Viele Marktleute blieben zu Hause in ihren Dörfern und gaben sich ihren winterlichen Heimarbeiten hin.
Ein glückliches Geschick wollte es, dass Bunk den Arzneienkrämer Johann Jähner kennenlernte und bei ihm als Aushilfe arbeiten konnte. Jähner verstand sich ausgezeichnet auf das Mischen von Tinkturen und kannte viele wirksame Rezepte. Sein Wissen hatte er als Lehrjunge eines Barbiers gesammelt, mit dem er fünf Jahre über die Jahrmärkte gezogen war, auf denen sie neben Kräutersalbe auch zusammengepanschte Wundermittel feilgeboten hatten. Jähner hatte Glück gehabt und die kinderlose Witwe eines Arzeneienkrämers im Beckergang heiraten können.
Die Krämersfrau, Maria Jähner, war eine ältliche kleine Person von gebrechlicher Statur. An die fünfzig Jahre war sie bereits. Ihr graues Haar, stets zu einem strengen Dutt gebunden, trug sie sorgsam unter einer weißen Spitzenhaube verborgen, welche ihr von Trauer gezeichnetes Gesicht umrahmte. Von Natur aus gutmütig und duldsam veranlagt, hatte das Leben Frau Jähnerschon einiges abverlangt und tiefe Spuren innerer Ermattung hinterlassen.
Der Arzneienkrämer war an die
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