Scharade der Liebe
er den Tanten in den Salon gefolgt. Noch bevor sie sich hatten hinsetzen können, hatte Tante Mathilda gesagt: »Klavier.«
Und so war Gray in den Genuss eines makellosen Haydn-Stückes gekommen, das die äußerst talentierte Maude ihm vorgespielt hatte.
Das war vor zwei Abenden gewesen. Während er Eleanor streichelte, die es sich auf seinem rechten Bein bequem gemacht hatte, dachte er, dass er seine beiden Großtanten am liebsten immer schon um sich gehabt hätte. Er mochte sie wirklich gern.
Er legte sich Eleanor über beide Beine, griff zu seiner Feder und tauchte sie in das glänzende Onyxtintenfass, das die reizende Witwe Constance Duran ihm geschenkt hatte, nachdem er ihr bei der Beseitigung eines lästigen Problems, nämlich ihres Ehemanns, geholfen hatte, und schrieb einen Brief an Ryder Sherbrooke, einen Mann, der kaum älter war als Gray und den er maßlos bewunderte.
Er war gerade mit dem Brief fertig geworden, als Quincy die Bibliothek betrat.
»Was gibt es, Quincy?«
»Es ist ein Herr da, Mylord - ein Herr, den ich noch nie vorher gesehen habe. Er hat mir seine Karte gegeben.« Quincy reichte Gray eine kleine, sehr weiße Visitenkarte mit dem Namen Sir Henry Wallace-Stanford. Er kannte diesen Mann nicht und blickte Quincy fragend an. »Ich habe es schon an deiner Stimme gehört. Was stimmt nicht mit ihm?«
Quincy sagte langsam: »Es ist irgendetwas mit seinen Augen. Er sucht etwas. Ich glaube, es ist Gier, einfach nur Gier. Vielleicht übertreibe ich ja auch. Wir werden sehen. Ich glaube jedoch nicht, dass Sir Henry ein guter Mann ist.« Quincy schüttelte sich. »Nichtsdestotrotz hat er höflich gefragt, ob er Euch sehen kann. Er behauptet, es sei wichtig.«
»Das könnte interessant werden«, meinte Gray und stand auf. »Bring Sir Henry herein.«
»Lord Cliffe?« Gray nickte dem außergewöhnlich gut aussehenden Mann, der selbstbewusst die Bibliothek betrat, zu. Er war groß, hielt sich aufrecht und war in mittleren Jahren, mit dichtem dunkelbraunem Haar, das von grauen Strähnen durchzogen war. Automatisch ergriff Gray seine ausgestreckte Hand, dann verbeugte er sich leicht. »Ja. Ich bin Cliffe. Leider kenne ich Euch nicht, Sir.«
»Ich bin Wallace-Stanford, ein Freund der Schwestern von Feathergate Close, Mathilda und Maude. Ich war zufällig in London, und da dachte ich, ich sehe einmal nach, ob sie ihren Aufenthalt hier genießen. Ich mag die beiden alten Damen sehr.«
Das war eine Enthüllung. Der Mann war direkt zum Thema gekommen, ohne Umschweife oder Erklärungen. Er machte sich wohl auch Sorgen. Gray sah, dass ihm der Schweiß auf der Stirn stand. »Ich verstehe«, erwiderte Gray, obwohl er eigentlich kein Wort verstand. Er bat Sir Henry, sich zu setzen.
»Darf ich Euch einen Brandy anbieten?« Als er das Glas in Sir Henrys elegante Hand gedrückt hatte; sagte Gray: »Ihr seid also mit meinen Großtanten bekannt. Wollt Ihr sie besuchen oder Euch nur nach ihnen erkundigen?«
»Nein, eigentlich bin ich hier, um zu fragen, ob die beiden alten Damen einen jungen Gast bei sich haben.«
»Einen jungen Gast?«
»Ja.«
Er blickte in Sir Henry Wallace-Stanfords unergründlich dunkle Augen, dachte an Quincys Worte und erwiderte: »Nein, die Tanten haben keinen Gast mitgebracht.«
»Ah, ich verstehe«, sagte Sir Henry. Langsam erhob er sich. »Es tut mir Leid, wenn ich Euch gestört habe, Mylord. Seid Ihr sicher, dass sie niemanden mitgebracht haben?«
Dies war wirklich mächtig interessant. Gray schüttelte den Kopf. »Kein Gast in Sicht«, erwiderte er. »Und Ihr seid sicher, dass Ihr nicht mit ihnen reden wollt? Ich glaube, im Augenblick sind sie in Hookhams Buchladen oder vielleicht bei Gunthers, Eis essen. Vielleicht möchtet Ihr auf sie warten?«
»O nein. So wichtig ist das alles nicht.« Er blickte Gray lange an, dann nickte er langsam.
Als Sir Henry gegangen war, stand Gray in der Eingangshalle neben Quincy und starrte auf die Tür. »Das ist äußerst seltsam«, meinte Gray.
»Ein gerissener Mann«, meinte Quincy »Äußerst gerissen. Wenn Ihr mir sagen möchtet, was er wollte, dann würde ich gern Nachforschungen über ihn anstellen.«
»Wenn ich mich nicht irre, war er hinter Jack her.«
»Hinter Jack dem Kammerdiener?«^ fragte Quincy und tippte mit den Fingerspitzen auf das silberne Visitenkartentablett, das er in der Hand hielt. »Ich kann mir nicht vorstellen, warum. Kein besonders einnehmender Junge. Auch kein Kammerdiener, wie Horace sagte. Er muss erst noch
Weitere Kostenlose Bücher