Scharfe Pranken
rief einer der Kanadier vom Eis zu ihr herüber.
Marci sah Blayne kopfschüttelnd an. »Ich habe dir doch gesagt, dass du dich ducken sollst, oder? Du hörst einfach nicht zu, Blayne Thorpe.«
Bo fuhr hinter den Torhüter, die komplette gegnerische Mannschaft direkt auf seinen Fersen. Sie hatten es praktisch schon das ganze Spiel auf ihn abgesehen, da sie wussten, dass er derjenige war, den sie ausschalten mussten. Er rauschte hinter dem Tor vorbei, während der Flügelspieler des anderen Teams von vorn und ihr linker Verteidiger von hinten auf ihn zukamen. Auch der Rest von Bos Mannschaft skatete heran, und der Torhüter ging in die Hocke, bereit, Bos Schuss abzuwehren.
Konnte er es schaffen, die Reihen zu durchbrechen und womöglich sogar ein Tor erzielen? Ja. Er konnte sich dabei aber auch den Schädel spalten lassen und den Rest der Nacht damit zubringen, seine Wunden mit Eis zu kühlen und Unmengen von nicht verschreibungspflichtigen Schmerzmitteln zu schlucken, um die monstermäßigen Kopfschmerzen wieder loszuwerden, anstatt das Spiel zu spielen, das sich neben Eishockey zu seinem Lieblingsspiel entwickelt hatte: »Bring die ungezogene kleine Wolfshündin zum Kreischen.«
Dank seiner überdurchschnittlichen peripheren Sehkraft, die es ihm ermöglichte, die Dinge um sich herum fast in einem 360-Grad-Radius wahrzunehmen, entdeckte Bo Raymond Chestnut, der sich am Rechtsaußen des anderen Teams vorbeischob. Wohin er wollte, wusste Bo nicht, und es war ihm auch egal. Stattdessen brüllte er: »Chestnut!«
Der fast zwei Meter fünfzig große Eisbär bremste abrupt ab und drehte sich zu ihm um. Bo holte mit seinem Schläger aus, wobei er irgendjemand ins Gesicht traf, schwang ihn dann nach vorn und schoss den Puck durch die versammelten Spieler in Raymonds Richtung. Der Eisbär blinzelte überrascht. Er hatte während seiner gesamten Grundschulzeit, der Junior High und der Highschool mit Bo gespielt, aber Bo hatte noch niemals irgendjemandem absichtlich den Puck zugepasst. Er wirkte so verblüfft, dass Bo sich sicher war, dass er den Puck an sich vorbeisausen lassen würde.
Glücklicherweise tat er das nicht. Raymond hielt den Puck mit seinem Schläger auf, wirbelte herum und schickte die Scheibe auf die Reise – dicht am Torhüter vorbei, der erst vor Sekundenbruchteilen bemerkt hatte, dass Bo das verdammte Ding ausnahmsweise nicht mehr hatte.
Der Puck segelte in das zerfledderte Netz, das in den letzten Jahren bei jedem städtischen Spiel zum Einsatz gekommen war. Der Torhüter tauchte hinterher, während sich seine Teamkollegen auf ihm stapelten und versuchten, ihm zu Hilfe zu kommen. Doch es war vergebliche Liebesmüh. Der Puck war im Tor, und Grigori warf die Arme in die Luft und blies in seine Pfeife. Das Spiel war vorbei, und Raymond Chestnut hatte den Siegtreffer erzielt.
Die Menge tobte vor Begeisterung, und sämtliche Zuschauer erhoben sich von ihren Plätzen und rannten aufs Eis. Raymond schüttelte Hände und verteilte Umarmungen, und er wirkte dabei noch immer völlig verdutzt. Dann warf sich eine Eisbärin in Raymonds Arme, gefolgt von fünf Bärenjungen. Bo brauchte eine Weile, um Meg D’Accosta zu erkennen. Sie war schon in der Highschool Raymonds Freundin gewesen und nun allem Anschein nach seine Gefährtin.
»Das war wirklich beeindruckend!« Blayne blickte strahlend zu ihm hinauf und hielt sich einen Eisbeutel an die Stirn. »Ich habe schon gedacht, du machst es doch nicht.«
»Ich gebe zu, dass es mir nicht leichtgefallen ist. Und, wie geht’s deinem Kopf?«
»Oh, du weißt schon …« Ein Geräusch, das wie ein Schuss klang, hallte um den Teich wider, und die versammelten Bären und Füchse verstummten abrupt und starrten Blayne an.
Mit leuchtend roten Wangen ließ sie den Eisbeutel sinken, und abgesehen von der üblen Wunde war nichts mehr zu sehen – selbst die Schwellung war verschwunden. Einmal mehr hatten ihre Knochen »geknackst« und sich selbst geheilt.
»Schon viel besser«, murmelte sie.
»Das kann ich sehen.«
»Ha«, sagte Grigori neben ihnen. »Und ich habe immer gedacht, der Junge hätte den größten Dickschädel in Ursus County.«
Alle brachen in Gelächter aus, und Bo zog eine verlegene, aber kichernde Blayne zu sich heran und nahm sie fest in seine Arme.
»Wir gehen alle noch auf einen Drink in die Bar der Chestnuts«, sagte Dr. Luntz und tätschelte Bos Rücken. »Und ihr kommt mit.«
Bo schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht. Ich hab bei Grigori
Weitere Kostenlose Bücher