Scharfe Pranken
Bedienungen waren allesamt draußen im großen Speisesaal versammelt und bereiteten sich auf den Ansturm zum Mittagessen vor. Wahrscheinlich wäre diese Tatsache niemandem außer ihr seltsam vorgekommen, aber wenn Dee sonst um diese Zeit hierherkam, hielten sich die Servicekräfte für gewöhnlich in der Küche auf. In diesem Haus schien stets eine recht entspannte Atmosphäre zu herrschen – bis die Massen durch die Tür stürmten. Dann wurden plötzlich alle sehr ernst und geschäftig. Aber dass sie alle draußen im Speisesaal waren …
Während Dee in Richtung Küche ging, bemerkte sie, dass alle sie beobachteten, und betrachtete auch das als böses Omen. Allerdings sahen die Smiths immer und überall »böse Omen«.
»Es ist ein Wunder, dass du und dein Daddy überhaupt noch das Haus verlasst, wo ihr doch immer überall diese bösen Omen seht«, beschwerte sich ihre Mutter für gewöhnlich ein- bis zweimal im Jahr.
Trotzdem irrte Dee sich nur selten, wenn es um diese Dinge ging. Auch jetzt vertraute sie ihrem Instinkt und war froh, die 45er zu spüren, die hinten an ihrer Jeans in einem Holster steckte.
Sie stieß die Küchentür auf und ging hinein. In der Küche befand sich nur eine einzige Person, und auch das war ungewöhnlich. Normalerweise schwirrten immer ein Haufen Köche, Küchenhilfen, Souschefs und was man sonst noch brauchte, um ein Restaurant wie dieses am Laufen zu halten, um Ric herum. Heute war er jedoch allein auf weiter Flur und zerhackte ein Zebra in seine Einzelteile.
Dee verzog ein wenig den Mund. Sie hatte den Geschmack von Zebra noch nie gemocht. Für sie war der Geschmack abartig … wie Eichhörnchen.
Sie kam zu dem Schluss, dass es klug war, wenn die große Kücheninsel, an der Van Holtz und seine Angestellten den Großteil ihrer Vorbereitungen verrichteten, weiterhin zwischen ihnen beiden stand, stützte sich mit den Armen auf dem Marmor ab und lehnte sich nach vorn.
»Wie ist es gelaufen?«
»Oh, es ist toll gelaufen«, antwortete Van Holtz. »Einfach toll.«
Als er nichts hinzufügte, zuckte sie mit den Schultern und drehte sich wieder zur Tür um. »Okay«, sagte sie und entfernte sich.
Sicher, er hätte auch das Fleischerbeil nach ihr werfen können, mit dem er gerade arbeitete. Stattdessen entschied er sich jedoch für einen Teil des Zebras, und der Huf knallte mit einer Wucht und Zielsicherheit gegen die Tür, die sie dem reichen Wolf gar nicht zugetraut hätte.
Dee drehte sich wieder zu ihm um. Die Tatsache, dass sein Gesicht völlig ausdruckslos war, sagte ihr, wie wütend er war.
»Gibt’s ein Problem, Kumpel?«
»Du hast ihr einen Mikrochip eingepflanzt?«
Verdammt. Sie hatte gehofft, dass sie den nicht finden würden.
»So war es leichter, sie im Auge zu behalten. Ich hab sie über mein Telefon verfolgt. Was denkst du wohl, wie ich sie so schnell gefunden habe, nachdem sie sie geschnappt hatten?«
Er funkelte sie sehr lange und sehr böse an, und sie wusste, was er wollte. Dee seufzte und sagte: »Sag mir, wo sie ist, dann entschuldige ich mich bei deinem Zwergpudel.«
»Das kannst du nicht. Weil sie nicht hier ist.«
»Ist sie wieder zu Hause?« Sie konnte das Grinsen nicht unterdrücken. »Oder soll ich mal bei Novikov nachsehen?«
»Sie ist immer noch in Ursus County. Sie hat sich geweigert, nach Hause zurückzukommen, bis ihr Vater sie abholt. Jemand, dem sie vertraut.«
Guter Gott. Ging es bei dieser Sache darum, dass die Gefühle des Zwergpudels verletzt worden waren? Erwartete Van Holtz wirklich, dass Dee das interessierte? Wo es da draußen Hybriden gab, die echte Probleme hatten?
»Ich bin mir sicher, dass er das gerne tun wird«, erwiderte sie und konnte die Langeweile, die sie empfand, einfach nicht verbergen.
»Du hast ihr einen Mikrochip eingepflanzt«, wiederholte er.
Völlig entnervt entgegnete sie: »Das alles kümmert mich wirklich kein bisschen.«
»Gut. Mich auch nicht. Du bist gefeuert.« Er kehrte ihr den Rücken zu und griff nach einem neuen scharfen Schneidewerkzeug. Dee war so verblüfft, dass sie sich nicht bewegen konnte.
»Wie bitte?«
»Ich hab gesagt, du bist gefeuert.«
»Wegen des Pudels?«
»Weil es häufig als Körperverletzung ausgelegt wird, wenn man jemandem etwas gegen seinen oder ihren Willen einpflanzt. Deshalb bist du gefeuert.«
»Fein«, erwiderte sie schnippisch. Sie konnte überall Arbeit finden. Dafür brauchte sie weder ihn noch die Gruppe noch sonst irgendjemand.
Sie drehte sich erneut zur Tür
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