Schatten des Wolfes - Schatten des Wolfes - Cry Wolf (Alpha & Omega 1)
sie die Überschrift las, aber diese Stunde gebraucht, um den Mut zum Handeln aufzubringen.
Wenn sie in ihren drei Jahren als Werwolf eines gelernt hatte, dann, dass man auf keinen Fall die Aufmerksamkeit eines dominanten Wolfes wecken sollte. Und den Marrok anzurufen, der alle Wölfe in Nordamerika beherrschte, würde zweifellos Aufmerksamkeit erregen.
Da sie kein Telefon in ihrer Wohnung hatte, nahm sie Karas. Sie wartete, dass ihre Hände und der Atem sich beruhigten, aber das geschah nicht, also wählte sie die Nummer auf dem zerknitterten Fetzen Papier dennoch.
Es klingelte dreimal - und ihr wurde klar, dass elf Uhr nachts in Chicago nicht elf Uhr nachts in Montana war, denn dort rief sie laut Vorwahlnummer an. War es ein zwei- oder dreistündiger Zeitunterschied? Früher oder später? Hastig legte sie wieder auf.
Was wollte sie ihm denn auch sagen? Dass sie den Jungen Wochen nach seinem Verschwinden gesehen hatte, offensichtlich das Opfer eines Werwolfangriffs, und zwar in einem Käfig im Haus ihres Alpha? Dass sie annahm, der Alpha habe den Angriff befohlen? Leo musste Bran nur erwidern, dass er dem Jungen später begegnet war und den Angriff nicht genehmigt hatte. Vielleicht stimmte das ja auch. Vielleicht ging sie zu sehr von ihren eigenen Erfahrungen aus.
Sie wusste nicht einmal, ob der Marrok etwas gegen den Angriff einzuwenden haben würde. Vielleicht war es Werwölfen ja gestattet, jeden anzufallen, den sie angreifen wollten. Ihr selbst war schließlich genau das zugestoßen.
Sie wandte sich wieder vom Telefon ab und sah das Gesicht des jungen Mannes, der sie aus der aufgeschlagenen Zeitung heraus anblickte. Nachdem sie ihn noch einen Augenblick länger angestarrt hatte, wählte sie die Nummer noch einmal - der Marrok würde sich doch sicher
wenigstens daran reiben, dass dieser Fall so viel Öffentlichkeit erregt hatte. Diesmal wurde ihr Anruf beim ersten Klingeln beantwortet.
»Hier spricht Bran.«
Er klang nicht bedrohlich.
»Ich heiße Anna«, sagte sie und wünschte sich, ihre Stimme würde nicht beben. Es hatte Zeiten gegeben, dachte sie ein wenig verbittert, in denen sie keine Angst vor ihrem eigenen Schatten gehabt hatte. Wer hätte gedacht, dass sie ein Feigling werden würde, sobald man sie zum Werwolf gemacht hatte? Aber nun wusste sie aus erster Hand, dass es auf der Welt wirklich Ungeheuer gab.
So wütend sie auf sich selbst auch sein mochte, sie konnte kein anderes Wort herausbringen. Wenn Leo erführe, dass sie den Marrok angerufen hatte, konnte sie sich auch gleich mit dieser Silberkugel erschießen, die sie vor ein paar Monaten gekauft hatte, und ihm den Ärger ersparen.
»Rufst du aus Chicago an, Anna?« Das erschreckte sie einen Moment, aber dann erkannte sie, dass er ein Telefon mit Display haben musste. Er klang nicht verärgert, als hätte sie ihn gestört - und das wiederum passte so gar nicht zu einem Dominanten. Vielleicht war das nur sein Sekretär? Die Privatnummer des Marrok war wohl kaum etwas, was einfach so herumgereicht wurde.
Die Hoffnung, nicht wirklich mit dem Marrok zu sprechen, beruhigte sie ein bisschen. Selbst Leo hatte Angst vor dem Marrok. Sie ignorierte die Frage - er kannte die Antwort ja bereits. »Ich rufe an, um mit dem Marrok zu sprechen, aber vielleicht könntest du mir auch helfen.«
Es gab eine kleine Pause, dann sagte Bran ein wenig bedauernd: »Ich bin der Marrok, Kind.«
Panik erfasste sie, aber noch bevor sie sich entschuldigen und auflegen konnte, fügte er beruhigend hinzu: »Es ist in Ordnung, Anna. Du hast nichts falsch gemacht. Sag mir, warum du anrufst.«
Sie holte tief Luft und wusste, dass dies die letzte Gelegenheit war, zu ignorieren, was sie gesehen hatte, und damit sich selbst zu schützen.
Stattdessen erklärte sie, dass sie den Artikel in der Zeitung gesehen hatte und den vermissten Jungen vom Haus ihres Alpha her kannte, wo er in einem der Käfige gesessen hatte, die Leo für neue Wölfe besaß.
»Ich verstehe«, murmelte der Wolf am anderen Ende der Leitung.
»Ich konnte nicht beweisen, dass etwas nicht stimmte, bevor ich die Zeitung sah«, berichtete sie.
»Weiß Leo, dass du den Jungen gesehen hast?«
»Ja.« Es gab zwei Alphas in der Gegend von Chicago. Einen Moment fragte sie sich, wieso er gewusst hatte, von welchem der beiden sie sprach.
»Wie hat er reagiert?«
Anna schluckte angestrengt und versuchte zu vergessen, was nach ihrer Entdeckung passiert war. Nachdem sich Leos Gefährtin eingemischt hatte, hatte
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