Schatten eines Gottes (German Edition)
ausstieß. »Bernardo?«, stammelte er.
»Wieso bist du überrascht, als sei ich ein Fremder?«
Sinan ärgerte sich über sich selbst. »Ich habe nicht mit dir …« er lachte knurrend. »Ach, lassen wir doch die Albernheiten. Wie es um uns steht, das wissen wir, nicht wahr? Also, was willst du?«
»Um mich steht es gut, Sinan, aber nicht um dich. Natürlich kenne ich den Grund.«
Sinan blinzelte. »So?«
»Du stirbst fast vor Eifersucht. Wenn ich nicht höflich erzogen wäre, würde ich sagen, du krepierst bald an ihr.«
Sinan begann zu zittern. »Das wagst du mir zu sagen?«
»Ich fürchte mich nicht vor dir. Und wenn es nur nach mir ginge, dann würde ich mit dir schlafen. Jede Nacht. Aber Sarmad will es nicht. Ich habe ihm vorgeschlagen, dass wir alle drei … nun, dafür ist er nicht zu begeistern.«
Sinan war wütend, er fühlte sich durch Bernardos Verständnis bemitleidet. »Und wozu sagst du mir das? Bist du gekommen, um mir zu sagen, dass es nicht geht?«
»Ja. Wir müssen den Dingen ins Auge sehen.«
»Liebst du Sarmad?«
»Was für eine Frage. Ja, ich liebe ihn.«
»Und was hast du bei mir empfunden? Liebe, Hass, Abscheu oder was?«
»Begierde, Sinan. Reine Begierde. Vielleicht ist es diese Art von Liebe, die man sündhaft nennt.«
Sinan warf ihm einen erloschenen Blick zu. »Vielleicht hast du recht. Die wirkliche Liebe fühlt sich anders an, ich habe sie erlebt.«
»Und weshalb ist sie gestorben?«
»Sie ist nicht gestorben. Mein Geliebter hat mich verlassen.«
»Das tut mir leid, das habe ich nicht gewusst.«
»Lass das, ich brauche kein Mitleid.«
»Hör zu, Sinan. Ich will keine Zwietracht schüren zwischen euch Brüdern.«
Sinan schwieg verstockt. Nach einer Weile legte er ihm beide Hände auf die Schultern. »Du bist ein guter Mensch, Bernardo, und ich bin schlecht. Wenn du wüsstest, wie es in mir aussieht, würdest du dich von mir abwenden. Das Licht, das einem das Herz wärmt und die Seele erleuchtet, habe ich nur einmal gesehen. Er war das Licht. Nicholas.«
Bernardo runzelte die Stirn. »Nicholas? Ich kannte einen Nicholas. Aber wir meinen sicher nicht denselben.«
»Ich meine den, der den unseligen Kinderkreuzzug angeführt hat. Ich bin ihm in Hama begegnet.«
In Bernardos Züge trat ein seltsamer Ausdruck. »Nicholas lebt?«
»Du kennst ihn? Dann reden wir von demselben Knaben?«
»Ob ich ihn kenne?« Bernardo gab ein tiefes Stöhnen von sich. »O ja.« Dann sah er Sinan an. »Er war dein Geliebter?«
»Ja. Was verbindet dich mit ihm?«
»Ein schwarzes Verhängnis. Eine Sünde so groß und unermesslich, dass ich glaubte, Gott, der Herr, müsse mich dafür in den untersten Höllenschlund verbannen, aber er hat mir verziehen.«
Sinan schüttelte ungläubig den Kopf. »Du solltest so eine große Sünde begangen haben? Das glaube ich nicht. Was war es denn?«
»Bitte, Sinan, darüber kann ich nicht sprechen, nicht mit dir. Denn du würdest mir nicht vergeben. Reden wir über das andere. Der Meister hat mich und Emanuel beauftragt, im Frühjahr Neubabylon zu verlassen, um die neue Lehre unter das Volk zu bringen. Wir werden nicht auf das Frühjahr warten. Wir werden jetzt gehen.«
»Jetzt? Aber die Wege sind verschneit. Um diese Jahreszeit beginnt niemand eine Reise.«
»Gott wird uns …«
»Nein, nein!« Sinan wedelte mit der Hand. »Erzähle mir nichts von Gott. Ihr werdet euch da draußen verlaufen und jämmerlich erfrieren. Ich werde gehen. Ich …« Er unterbrach sich, ein weiches Lächeln teilte plötzlich seine Züge, als habe ihn ein wunderbarer Gedanke gestreift. Er packte Bernardo bei den Armen. »Ja mein Freund, ich werde gehen. Ich bin es gewohnt, mich durchzuschlagen, fürchtet nichts für mich. Ich werde wieder in meine Rolle als Spielmann schlüpfen und Nicholas suchen. Vielleicht finde ich ihn nie, aber ich werde die Suche nicht aufgeben. Niemals. Und wenn ich darüber sterben sollte.«
Bernardo umarmte Sinan voller Freude. »Wer so redet, der ist kein schlechter Mensch. Doch um eins bitte ich dich: Solltest du Nicholas begegnen, dann frage ihn, ob er mir verziehen hat. Würdest du das für mich tun? Es wäre mir sehr wichtig.«
Sinan nickte, aber er konnte nicht antworten. Die Worte blieben ihm im Halse stecken. Bernardos Umarmung war wie ein Feuerofen. Er musste sich gewaltsam von ihm lösen.
Das Wiedersehen
Es war März, als Sinan in Köln eintraf. Auf seiner unsteten Reise als Spielmann hatte es ihn mit Macht in diese Stadt gezogen.
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