Schatten eines Gottes (German Edition)
Pater Osmund und legte sanft beide Hände auf das Buch. »Behaltet es. Ich hatte es euch doch auf hundert Jahre geliehen, wisst ihr das nicht mehr?«
»Ja? Äh – wirklich?«
»Natürlich. Ich kenne es ja schon auswendig. Und nun will ich fröhliche Gesichter bei euch sehen. Gott, der Herr, freut sich über jeden Einzelnen. Glaubt mir, er schaut nicht auf die Geburt, er schaut in euer Herz.«
»Ihr habt uns beschämt, Pater Osmund.«
»Unsinn. Ich bin ein armseliger Sünder, der hofft, auf diesem Pilgerweg näher zu Gott zu kommen. So nah wie ihr, Daniel und Damian. Wer so geprüft wurde wie ihr, der hat sein Fegefeuer bereits auf der Erde abgeleistet.«
***
Bei Sonnenaufgang nahm Adam, der Sohn des Köhlers, seine um ein Jahr jüngere Schwester Merte an die Hand und lief mit ihr an den Bach. Dort entledigten sie sich ihrer schmutzigen Kittel, stiegen in das hüfthohe Wasser und schrubbten sich gegenseitig mit alten Lappen ab. Auch die Ohren wuschen sie sich. Dann walkten sie die Kittel durch, legten sich ins Gras und ließen sich und die Kleider von der Sonne trocknen.
Gegen Mittag kehrten sie in ihre Hütte zurück. Die Mutter hatte schon zwei Bündel zurechtgemacht mit Brot, getrocknetem Ziegenfleisch, etwas Käse, außerdem war darin, was der Wald hergab: Nüsse, Esskastanien, getrocknete Beeren und Pilze. Sie nahm die sauberen Kittel und nähte Kreuze darauf, die sie aus einem alten Unterrock zugeschnitten hatte. Leuchtend weiß hoben sie sich von dem groben, grauen Wollstoff ab. Adam und Merte waren sehr stolz darauf und streiften sie ehrfürchtig über.
Die Geschwister standen um sie herum und machten erstaunte Gesichter. Der Adam und die Merte würden weit weggehen, viel weiter noch als zu der großen Stadt, die Köln hieß. Die andere Stadt hatte einen schwer zu merkenden Namen. Dort würden sie auf richtige Engel treffen. Und wenn sie dann wiederkamen, würden die Engel ihnen ein schönes Haus schenken und dazu Vieh und ein Stück Land. Die Engel würden ihr Haus beschützen vor schlechten Menschen und wilden Tieren, vor Unwetter und Krankheiten, weil der Adam und die Merte das Kreuz genommen hatten, so wie Gott es befohlen hatte. Der Vater kam eigens von seinem Kohlenmeiler nach Hause, um die beiden zu segnen. Er schärfte ihnen ein, die Engel zu fragen, ob seiner Familie dadurch auch das Fegefeuer erlassen sei und dass sie dem Bertold ein Fieber schicken mögen, weil er ein Dieb sei und Kohlen stehle.
Adam nickte zu allem. Er hatte einen Kloß im Hals und konnte kaum sprechen. Der Abschied von zu Hause fiel ihm schwerer, als er gedacht hatte. Und die Furcht vor dem gewaltigen Köln war immer noch gegenwärtig. Aber das durfte er nicht zeigen, er war jetzt ein Mann, der seine Schwester beschützen musste und der auszog, um Gottes Segen für seine Familie heimzuholen. Sein vorsichtiger Blick streifte Merte, aber ihr Gesicht strahlte wie die Sonne. Sie hatte keine Ahnung von der Welt, und sie wusste, ihr konnte nichts passieren, wenn Adam auf sie aufpasste. Adam schluckte. Dieses Vertrauen durfte er nicht enttäuschen. Andererseits war er guten Mutes, denn der Anführer des Kreuzzuges war jener freundliche Knabe, der ihm mit der Hebamme geholfen hatte.
Adam hatte schon damals gespürt, dass dieser Nicholas ein von Gott Erwählter war. Als er von dessen Mission gehört hatte, war ihm, als sei der Ruf Gottes, den Erwählten auf seiner Pilgerfahrt zu begleiten, auch an ihn ergangen. Ganz allein wollte er sich aber doch nicht auf den Weg machen. Die anderen Geschwister waren noch zu klein, aber Merte wollte gern mit. Die Eltern hatten nichts dagegen. Sie waren zwei hungrige Münder los und obendrein winkte ihnen himmlischer Lohn. Adam wusste das, es störte ihn nicht. Es war in allen Familien so, die er kannte.
Der Tag, an dem Adam und Merte sich auf den Weg nach Köln machten, war warm und sonnig, so als gebe der Himmel seinen ganz besonderen Segen zu dem Vorhaben. Adam und Merte wanderten durch den Wald, und Adams Brust weitete sich vor Freude. Frei von lästigen Pflichten ging es einem wundervollen Abenteuer entgegen. Der Wald hatte sich auf magische Art verwandelt. Wie er duftete! Wie die Sonnenstrahlen auf den Blättern und Gräsern funkelten. Selbst die Vögel schienen heute fröhlicher zu singen. Auf kleinen Lichtungen zwischen dunklen Fichten blühten Blumen, Schmetterlinge und Bienen gaukelten über sie hin. Die Kiesel des Baches schimmerten in allen Farben wie kostbare Edelsteine, wenn die
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