Schatten eines Gottes (German Edition)
zurückweisen, denn der Karren wäre unter ihrer Last zusammengebrochen. Deshalb war er froh und dankbar gewesen, dass die Sprösslinge wohlhabender Eltern, die sich ebenfalls dem Kreuzzug anschließen wollten, ihn vor der anbrandenden Menge beschützten und mit ihren Pferden eine Eskorte bildeten. Ihre rüden Methoden, die Kinder abzuwehren, hatten Nicholas befremdet, aber sie hatten ihm erklärt, dass hier in den engen Gassen Kölns diese Vorgehensweise nötig sei, um ihn davor zu schützen, von den Hitzköpfen vom Wagen gerissen, seiner Kleider beraubt und am Ende zertrampelt zu werden. Denn dies alles könne leicht geschehen. In ihrer übersteigerten Begeisterung glichen die Kinder wilden Tieren. Für eine Berührung, für einen Fetzen Stoff von ihm würden etliche sich töten lassen.
Was die jungen Männer sagten, leuchtete Nicholas ein. Er hatte es tatsächlich erlebt, dass sich einige vor seinen Karren geworfen hatten und beinahe unter die Räder geraten waren. Doch als er sich plötzlich von der selbst ernannten Eskorte umringt sah, dann den gesammelten Haufen Priester und Mönche erblickte, aber weit und breit keine Kinder mehr, da merkte er, dass er den jungen Männern zu viele Befugnisse eingeräumt hatte.
Nein,
verbesserte er sich,
sie haben sie sich von allein angemaßt. Mich nennen sie ›Erhabener Meister‹, aber in Wahrheit halten sie sich selbst für die Seele des Kreuzzuges, und mich benutzen sie als Blickfang wie ein Gastwirt sein Aushängeschild. Doch das war nicht meine Absicht und nicht der Wille Christi. Die herrschende Schicht hat vier Kreuzzüge verloren, deshalb müssen jetzt die Armen und Unterdrückten das Kreuz und somit den wahren Glauben ins heilige Land tragen.
Aber Nicholas war müde, so müde. Tagelang hatte er sich bei den Vorbereitungen aufgerieben, hatte kaum geschlafen, und seine Ohren dröhnten ihm von Warnungen, Drohungen und guten Ratschlägen. Er wollte nur noch heraus aus den engen Mauern, hinaus auf das freie Feld, wo Gottes Odem wehte. In Kölns Mauern wehte er nicht – trotz der vielen Kirchen. Hier wehte der Ungeist machthungriger Aristokraten, des betrügerischen Klerus und der Arroganz reicher Emporkömmlinge.
Die beiden Kinder, geängstigt durch die unfreundlichen Reiter, jedoch in den Augen das wahrhaftige Leuchten, die sich hinter der Tür förmlich verschanzten, obwohl sie doch voranschreiten sollten, hatten Nicholas aus seiner Lethargie gerissen. Ein gerechter Zorn hatte seine Müdigkeit davongeblasen. Er winkte ihnen, und seine Eskorte wich unwillig, aber gehorsam zur Seite.
Nicholas wies seine menschlichen Zugtiere an, stehen zu bleiben. Obwohl er es ablehnte, von Menschen wie von Ochsen gezogen zu werden, hatte er sich nicht durchsetzen können. Die jungen Männer hatten sich darum gerissen und fast darum geprügelt, seinen Karren ziehen zu dürfen. Um des lieben Friedens willen hatte er zugestimmt. ›Aber nur bis zu den Stadttoren!‹, hatte er sich ausbedungen. Auch die Hosianna- und Hallelujarufe hatten ihn gestört, denn so hatte man Gottes Sohn in Jerusalem empfangen, doch schließlich redete er sich ein, dass diese Freudenrufe an Gott gerichtet waren und nicht seiner eigenen unwürdigen Person galten.
Die beiden Kinder kamen zögernd näher. Als sie merkten, dass die Reiter sie durchließen, traten sie bis an den Karren heran. Nicholas beugte sich zu ihnen hinunter und streckte die Hand aus.
Der Junge ließ das Mädchen vor, und Nicholas zog es zu sich herauf. Der Junge erklomm auf seinen Wink hin den Karren ohne Hilfe.
Ein wirklich hübscher Knabe
, dachte Nicholas.
Große braune Augen, ein herzliches Lächeln, gute Zähne, dunkelbraunes, dichtes Haar.
Das Mädchen schien seine Schwester zu sein, sie ähnelte ihm und war ebenso hübsch. Die beiden kamen Nicholas bekannt vor, aber das hatte nichts zu sagen. In den letzten Tagen hatte er Hunderte von Gesichtern gesehen.
»Du kennst mich wohl nicht mehr, Nicholas?«, sagte der Junge.
»Ich erinnere mich wirklich nicht. Wie ist denn dein Name?«
»Ich bin doch der Köhler-Adam, und das ist meine Schwester Merte. Du warst bei uns mit der Buber-Anne, und die Buber-Anne hat …«
»Der Köhler-Adam?«, unterbrach ihn Nicholas herzlich lachend, sodass Adam verblüfft verstummte. »Ja freilich, jetzt weiß ich, weshalb ich euch nicht erkannte. Ihr habt euch gewaschen!«
Adam und Merte fielen erleichtert ein in sein Lachen. »Ja, auch unsere Kittel.«
»Wie geht es dem kleinen Franzl?«
»Du
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