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Schatten eines Gottes (German Edition)

Schatten eines Gottes (German Edition)

Titel: Schatten eines Gottes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ahrens
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Ihr bei Erfolg.«
    Die Frau zahlte. Agnes ahnte, sie würde sie nie wieder sehen. Denn niemand kam zurück und beschwerte sich, das wäre zu peinlich gewesen. So klingelte ihre Kasse. Und hatte sie in den ersten Tagen hinter dem Holunderbusch geschlafen, so konnte sie sich nach fünf Tagen bereits ein kleines Zimmer in einem schäbigen Gasthaus mieten.

Der Aufbruch
    Der Tag des Aufbruchs! Nicholas hatte ihn zum heiligen Vitus verkündet, und alle waren gekommen.
    Die Stadt war anders, als sie geglaubt hatten. Andere Gerüche, andere Geräusche, andere Stimmungen, vielleicht auch andere Menschen. Daniel und Damian standen eng aneinandergeschmiegt am Gereonstor, noch immer erstaunt über den eigenen Mut, das Elternhaus einfach zu verlassen und sich den Blicken und Bemerkungen anderer Menschen auszusetzen. Sie hatten ihre beste Kleidung angezogen, wollene Unterkleider, wollene Überwürfe und feste Stiefel. Viel zu warm für diese Jahreszeit. Sie trugen sie zum Kirchgang und nirgendwo sonst, denn sie gingen gewöhnlich nicht aus dem Haus. Davon zeugte auch ihre blasse Gesichtsfarbe. Heute hatten sie das Undenkbare gewagt. ›Die Stadttore werden geschlossen‹, hatte es geheißen. Tausende von Kindern wollten das Kreuz nehmen und nach Jerusalem ziehen, und der Stadtrat wollte dies verhindern. Deshalb waren Daniel und Damian durch die Wiesen und Gärten bis hinauf zum Gereonstor gelaufen, das sich etwas außerhalb befand. Vielleicht wollten die Kinder dort hindurchschlüpfen.
    Gern hätten sie ihre warmen Überwürfe ausgezogen, aber darunter verbargen sie ihren Schatz: zwei Bücher. Das eine hatte ihnen der Engel von Köln geschenkt, das andere gehörte Pater Osmund. Sie hatten sie mitgenommen, gestohlen nannte man das. Aber wenn ihnen der Weg nach Jerusalem zu lang werden sollte, so konnten sie sich an diese Bücher klammern. Es waren ihre einzigen Freunde. Und seine Freunde nimmt man mit auf Reisen.
    Als die Gerüchte von dem Kinderkreuzzug auch an ihre Ohren gedrungen waren, hatte für sie der Entschluss festgestanden: Sie würden sich ihm anschließen und so vielleicht ihrem hoffnungslosen Leben entfliehen. Aber davon durften die Eltern nichts wissen. Als dann der Tag des Aufbruchs gekommen war, hatten sie sich in aller Frühe fortgeschlichen. Natürlich würde die Mutter ihre Abwesenheit bald bemerken, doch wie sollte sie sie an diesem Tag in Köln finden?
    Am Gereonstor hatten die Brüder durch Gesprächsfetzen von anderen erfahren, dass die Stadttore doch nicht geschlossen wurden. Der Stadtrat habe sich totgestellt, und die Geistlichkeit Hosianna gesungen. Sie hatten auch gehört, dass der Engel von Köln, der den Kreuzzug anführte, den Weg durch das Hahnen- oder das Schaafentor nehmen würde. Dort herrsche ein unbeschreibliches Gewühl, und es werde wohl Stunden dauern, bis alle Kreuzzugswilligen Köln verlassen hätten.
    Daniel und Damian waren froh, am nicht so überlaufenen Gereonstor zu stehen. Aber auch hier konnten sie beobachten, wie Kinder aller Altersstufen und beiderlei Geschlechts hinein- oder hinausströmten, wie Gerüchte die Runde machten, wie einige kopflos hin- und herliefen, andere Gruppen von Priestern oder Mönchen geführt wurden. Die Torwächter ließen sich nicht blicken.
    Die beiden Brüder hatten sich hinter einem Pfeiler versteckt, denn sie wollten nicht unnötig die Blicke auf sich ziehen. Wie oft hatte die Mutter ihnen gesagt, sie müssten die Menschen meiden, weil sie nun einmal auf der dunklen Seite des Lebens geboren wären. Ehrlos waren sie wie der Vater. Und wer ihnen begegnete, wich ihnen aus, schlug das Kreuz, murmelte Beschimpfungen und manche spuckten sogar vor ihnen aus. Die Söhne des Henkers rochen nach Brandeisen, Peitsche, Streckbank und Tod.
    Da entdeckte sie ein Mönch, und bevor sie die Flucht ergreifen konnten, hatte er sie schon erreicht. »Ihr beiden Buben! Wovor habt ihr Angst? Vor wem versteckt ihr euch? Heute ist ein Freudentag.«
    Ängstlich starrten sie den Mönch an. Sie meinten, das Henkersmal sei ihnen auf die Stirn geschrieben, doch der freundliche Mann fuhr fort: »Ihr wollt euch doch sicher auch dem Kreuzzug nach Jerusalem anschließen?«
    Sie nickten.
    »Dann lasst unseren Herrn Jesus Christus nicht warten. Seid ihr aus Köln?«
    »Ja«, presste Daniel hervor.
    »Dann werdet ihr es schon wissen, die Stadt ist überfüllt. Kommt mit mir. Viele treffen sich bei den Eigelsteinen, andere auf dem Hahnenkammhügel. Der ist von hier aus besser zu

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