Schatten eines Gottes (German Edition)
ein Bier.«
»Ich habe Linseneintopf mit geräuchertem Speck, wenn’s recht ist. Wollt Ihr auch eine Schlafkammer? Ihr werdet doch bei der Dunkelheit und dem Nebel nicht weiter wollen?«
»Ja, das wäre mir recht.«
»Ist gleich unter dem Dach. Ich zeig’s Euch nach dem Essen.«
Sie rief nach einer Marie. »Linsentopf und ein Bier!«
Ein schmales Gesicht tauchte kurz aus dem Dunkel auf und verschwand wieder.
»Ihr seid wohl auf dem Weg zur Abtei Sankt Martin in Meienfeld?«
»Nein. Ich muss nach Köln.«
»Nach Köln? Da seid Ihr aber weit vom Weg abgekommen. Es gibt eine Abkürzung: den Fußpfad über Ebersbach. Nach einer guten Wegstunde führt er Euch auf die Hauptstraße, die von Aachen kommt.«
Dann war der Wagen, dessen Räderspuren Bruder Andreas im Schlick entdeckt hatte, nach Köln oder nach Aachen unterwegs gewesen,
fuhr es Emanuel durch den Kopf. »Ich danke Euch für die Auskunft, gute Frau.«
Emanuel griff nach dem Holzlöffel und tauchte ihn mit Behagen in den duftenden Eintopf. Seit dem Morgen hatte er außer einem verschrumpelten Apfel nichts gegessen. Er hatte die Entfernung und die Mühen eines tagelangen Fußmarsches falsch eingeschätzt und die Wegzehrung bereits an den ersten beiden Tagen verspeist. Sein knurrender Magen hatte ihn schmerzhaft an das erinnert, was ihn in Köln erwartete.
Er selbst stammte aus dem reichen und angesehenen Zisterzienserkloster Altenberg. Sein Abt Bruno hatte ihn nach Köln geschickt. Dort sollte er einer kleinen ärmlichen Gemeinschaft von Mönchen beistehen, die einem neuen Orden angehörten, aber offensichtlich so einfältig waren wie Gras. Sie hatten weder vernünftige Regeln noch einen Abt, dafür pflegten sie etliche Grillen, die ihnen ihr Gründer, ein gewisser Franziskus von Assisi, in die Köpfe gesetzt hatte. Aber der Heilige Vater in Rom war ihnen aus irgendeinem Grunde gewogen.
Emanuel sollte ihnen bei der Aufstellung einer Ordensregel und der Bildung einer klösterlichen Gemeinschaft behilflich sein. Abt Bruno hatte gemeint, er besitze trotz seiner Jugend bereits die dafür erforderlichen Eigenschaften. Und Emanuel fand das auch. Er war intelligent, gebildet, sprachgewandt, von hohem Pflichtbewusstsein und der Kirche unbedingt ergeben, denn sie hatte sich seiner angenommen und ihn auf den Pfad des Wissens geschickt, obwohl er nur ein Findelkind war.
Wenn auch der Auftrag selbst seinem Intellekt und seiner Bildung kaum entsprach, so wusste Emanuel doch, dass solche Aufträge Prüfungen waren, denen mit der Zeit höhere Anforderungen und damit der Aufstieg in die Hierarchie einer geistlichen Laufbahn folgten.
Nachdem er seine Mahlzeit beendet hatte, eilte die Wirtin mit einer Kerze herbei, um ihm auf dem Weg zu seinem Zimmer die Treppe hinauf zu leuchten. Das Zimmer war einfach, aber sauber. Emanuel sank müde, aber zufrieden auf die Strohmatratze, murmelte rasch ein Nachtgebet und legte sich zum Schlafen nieder. Doch der Schlaf wollte nicht kommen. Seine Gedanken schweiften umher und glitten zurück in jene Zeit, als er noch kein gebildeter Mönch gewesen war und auch niemals hatte hoffen dürfen, es jemals zu werden.
Es war ein warmer Nachmittag, und er arbeitete im Apfelgarten des Klosters Altenberg, als Karlmann ihn zum Prior geschickt hatte. Da war er gerade acht Jahre alt gewesen. Aber das Bild stand so leibhaftig vor ihm, als sei es gestern gewesen.
Emanuels Erinnerung
Karlmann mit dem blonden Lockenkopf und dem Gesicht eines Cherubs stand mit verschränkten Armen an einem Apfelbaum und beobachtete mit angespannter Miene den kleinen Hubert. Auf diesen Namen hatte man ihn getauft, denn Bruder Andreas hatte ihn am Tag des heiligen Hubertus vor sieben Jahren im Wald gefunden.
Karlmann beaufsichtigte die Schar der Knaben, die im Kloster Altenberg Aufnahme gefunden hatten, um den Mönchen bei der Arbeit zu helfen. Die meisten waren Bauernsöhne aus der näheren Umgebung. Eine Ausbildung war für sie aufgrund ihrer niedrigen Herkunft nicht vorgesehen, aber das Leben im Kloster war nicht schlecht. Es gab Kittel aus haltbarem Stoff, reichlich zu essen und im Winter einen mantelähnlichen Überwurf und einen geheizten Schlafsaal.
Hubert war der Jüngste, und Karlmann hatte sich stets als sein Beschützer aufgespielt, doch heute war er sichtlich nervös, und hinter seiner Stirn machten sich quälende Gedanken breit. Der Blick, den er auf den Achtjährigen richtete, war voller Feindseligkeit. Hubert glich nicht den anderen Jungen. Seine
Weitere Kostenlose Bücher