Schatten eines Gottes (German Edition)
einen Honigkuchen mit. Vanisha konnte es kaum glauben, wie leicht alles war und dass sie bald eine reiche und freie Frau sein würde. Jedenfalls hoffte sie, dass Kilian Wort hielt. Als sie sich von ihm verabschiedete, nickte er ihr noch einmal aufmunternd zu.
Ja, er ist ein guter Mann,
dachte Vanisha.
Er wird mich nicht betrügen.
Der Kutscher war ein schweigsamer Mann. Er schlug einen kaum befahrenen Waldweg zur Grenze von Unterwalden ein. Trotz der Dunkelheit kamen sie rasch voran, denn er konnte gut mit Pferd und Wagen umgehen. Die Kinder schliefen, und Vanisha lehnte sich erschöpft in die Polster. Das Rumpeln der Räder war ihr lieblicher als jeder Gesang, mit jeder Umdrehung führten sie sie weiter fort von Burg Lichtenfels. Doch solange sie sich noch in Unterwalden befanden, würde sie keine Ruhe haben.
Obwohl sie sehr müde war, konnte sie nicht schlafen. In ihrem Kopf kreiselten die Gedanken wie taumelnde Blätter im Wind.
Was tue ich hier?,
fragte sie sich immer wieder.
Ich bin unterwegs in einem fremden Land, habe zwei hilflose Kinder bei mir und vertraue einem finster aussehenden Kutscher, dass er mich nicht in die Irre führt, mir keine Gewalt antut, mich vielmehr beschützt und am Ende zu jenem geheimnisvollen Meister bringt, von dem der Majordomus gesprochen hat. Allah steh’ mir bei, wenn er mich betrogen hat.
Sie waren bereits einige Stunden unterwegs, da hörte sie den ersten Donner rollen. Dann kam der Sturm, und der Sturm brachte Regen. Bald zuckte Blitz auf Blitz vom Himmel. Der Kutscher trieb die Pferde an, er selbst war bereits völlig durchnässt, der Weg aufgeweicht. Tief hängende Zweige peitschten das Wagendach, kratzten über die Wände. Die Insassen wurden jedes Mal von ihren Sitzen geschleudert, wenn der Wagen über eine Baumwurzel oder durch ein Schlammloch fuhr. Die Kinder erwachten und begannen zu weinen.
Hoffentlich bricht kein Rad, dachte Vanisha, als ein Blitz mit ohrenbetäubendem Krachen in einen Baum ganz in der Nähe einschlug. Vanisha schrie auf und klammerte sich an einem Griff am Sitz fest. Es krachte und splitterte um sie herum, als breche der Wald über ihnen zusammen. Zweige und Äste schienen den Wagen wie mit riesigen Pranken aufhalten zu wollen, jäh sprang die Wagentür auf, klapperte im Sturm und wäre fast abgerissen. Vanisha hängte sich halb aus dem schwankenden Wagen, mit der Linken klammerte sie sich am Dach fest, mit der Rechten langte sie nach dem Türgriff. Sie wollte dem Kutscher zurufen, er solle anhalten, da erkannte sie, dass die Pferde durchgegangen waren. Gegen die Gewalt des Sturms gelang es Vanisha mit letzter Kraft, die Tür wieder zu schließen.
Im Wagen war es so finster wie in einem Grab, und draußen jaulte der Sturm, als seien die Toten auferstanden. »Ich fürchte, der Kutscher hat den Weg verloren«, murmelte sie vor sich hin. Wenigstens schienen die Kinder wieder zu schlafen, Vanisha war dankbar dafür. Nach einer Weile ließ das Rumpeln nach, dann gab es einen Ruck und der Wagen stand. Die Tür wurde aufgerissen, draußen stand der Kutscher. »Der Sturm hat sich gelegt. Ich glaube, das Schlimmste ist vorbei. Die Pferde haben sich beruhigt, wir befinden uns wieder auf dem Hauptweg.«
»Wir nicht besser abwarten?«
»Nein. Wir müssen die Aache überqueren, bevor es hell wird. Das ist der Grenzbach.«
»Gut, dann weiterfahren«, gab Vanisha müde zurück. Der Kutscher wusste sicher am besten, was gut für sie war. Da kam aus einer dunklen Ecke des Wagens eine dünne Stimme: »Sarmad weg.«
Vanisha fuhr herum. »Was?«
Da sie kaum etwas erkennen konnte, tastete sie mit der Hand in der Ecke herum, bekam einen Jungen zu fassen. Nur einen Jungen. Wo war der andere?
»Sarmad?«, rief sie, Panik in der Stimme. »Sarmad? Wo bist du?«
»Sarmad weg«, sagte der kleine Sinan. »Rausgefallen.«
»Warte Kutscher!«, schrie Vanisha. »Ein Kind ist gefallen, raus aus Kutsche. Wir müssen es suchen.«
Der Kutscher trat näher. »Gerade eben?«
»Nein, nein, vielleicht vorhin, als Tür aufgesprungen, als Blitz eingeschlagen.«
Der Kutscher schüttelte den Kopf. »Das ist zu lange her. Es ist stockfinster, außerdem sind wir ein beträchtliches Stück vom Weg abgekommen. Wir finden die Stelle nie wieder.«
Vanisha sprang aus dem Wagen, der Schlamm spritzte ihr bis ins Gesicht. »Er wie meine Sohn!«, kreischte sie. »Er nicht allein in dunkle Wald. Er Angst.« Sie schrie: »Sarmad!«, und stolperte vorwärts, wurde aber vom Kutscher am Arm
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