Schatten eines Gottes (German Edition)
unmerklich, denn er wusste, dass Sinan gelogen hatte. Wie konnte er Grauen empfunden haben, wenn er selbst der Anführer gewesen war? Wenn er weitergestürmt war, um zu töten? Nein, im Traum hatte er das Gemetzel genossen, alles andere war unlogisch. Aber warum hatte er dann nicht die Wahrheit gesagt? Warum wollte er sie verbergen? Niemand würde ihm vorwerfen, was nur geträumt war.
Sinan wusste es. Er hatte geschwitzt und gezittert, jedoch nicht vor Grauen, es war die Lust an diesem Traum, die ihn gepackt hatte, er hatte ihn weiterträumen wollen, und dann war es feucht geworden zwischen seinen Schenkeln. Der Meister würde ihm den Traum verzeihen, aber nicht seine unbeherrschten Gelüste.
»Der Traum hat dir den Weg gewiesen, den du als Löwe gehen musst«, fuhr Nathaniel fort. »Wir haben dir ein gutes Rüstzeug mitgegeben, aber bedenke, dass die Welt, die du betreten wirst, eine gefallene Welt ist. Dein Weg wird nicht leicht sein. Wähle stets den Weg der Täuschung, um deine Gegner zu verwirren, denn sie sind zahlreich und schlau.«
»Ja Meister. Ich beherrsche diese Fähigkeit.«
»Hast du während des Unterrichts von den Assassinen gehört?«
»Ja, aber sie schätzen es nicht, wenn man sie Haschischesser nennt, denn es ist nicht wahr. Wir sprechen von den Ismailiten aus Alamut. Die Assassinen, wie sie hier genannt werden, töten auf Befehl ihres Meisters. Sie kommen von der Burg Alamut in Syrien. Ins Leben gerufen wurde die Gruppe von Hassan-i Sabbah. Sinan Raschid ad-Din, einer seiner Nachfolger, wurde bekannt unter dem Namen ›Der Alte vom Berge‹. Es sind gefürchtete Mörder, denn sie können sich verwandeln, indem sie Gebärde, Kleidung, Sprache, Sitte und Benehmen vieler Menschen annehmen. Wenn sie erkannt werden, sterben sie ohne zu zögern.«
»So ist es. Aber ihr Meister schickt sie nur aus, um diejenigen zu töten, die großen Zielen im Wege stehen. Das Christentum, so wie es gelebt wird, ist eine Geißel. Ich wünsche, dass du dabei hilfst, uns von dieser Geißel mithilfe des Schwertes zu befreien. Du sollst töten wie ein Assassine, jedoch mit Besonnenheit und Klugheit, damit du dein Leben rettest, denn es ist mir kostbar.«
»Ich soll Christen töten?«, fragte Sinan scheinbar ohne jede Gemütsbewegung, doch innerlich jubelte seine Seele, denn seit Jahren ersehnte er nichts anderes.
»Nicht wahllos. Du wirst Anweisungen erhalten, welche Personen uns auf unserem gerechten Weg behindern. Manche sind bereits auserwählt, andere werden hinzukommen. Es versteht sich von selbst, dass es sich dabei um einflussreiche Leute handelt, die wir durch eigene Leute ersetzen werden.«
»Ich verstehe.«
»Gut. Du musst ohne Mitleid handeln, aber vergiss nie: Du tötest nicht zu deinem Vergnügen. Weder Hass noch Zorn dürfen dich leiten. Gefühle sind unwichtig, das Ziel ist alles. Sei stets kühl bei der Sache und gib dich nicht dem Rausch hin, den die Macht über Leben und Tod verleiht. Und noch eins: Meide die Versuchung. Du bist von schöner Gestalt. In dir brennt der göttliche Lichtfunke besonders hell. Viele werden von deinem Licht angezogen.«
Sinan senkte demütig das Haupt. Aber das Gift des Stolzes durchrann seine Adern und zersetzte seinen Charakter.
»Die Menschen werden dich lieben«, fuhr der Meister fort, »aber du musst dich vor ihnen hüten, besonders vor den Frauen. Du wirst ihnen da draußen zum ersten Mal begegnen. Was weißt du über sie?«
»Eva war die erste Frau, aber sie verführte Adam zum Ungehorsam, und Gott vertrieb daraufhin beide aus dem Paradies. Sie war schuldig, und sie war schlecht.«
Der Meister nickte. »So steht es im Buch der Christen, aber wir folgen diesem Buche nicht, wenngleich es viele Weisheiten enthält. Weisheiten, die älter sind als ihr weiser König Salomo. Die Juden haben sie aus Babylon mitgebracht, wo sie eine Zeit lang als Gefangene gelebt haben.«
»Du erzählst mir nichts Neues, Meister.«
»Die Frauen aus der alten Zeit waren ein starkes Geschlecht. Viele von ihnen maßen sich mit Männern, waren Priesterinnen und Königinnen.«
»Weshalb gibt es dann keine Frauen bei Mithras? Weshalb darf eine Frau keine Weihen erhalten?«
»Weil die Welt sich geändert hat. Heute herrschen und entscheiden die Männer, und daher genügt es, wenn sie den Pfad des Lichtes beschreiten, denn dann wird auch für die Frauen gesorgt sein.«
»Weshalb muss ich mich dann vor ihnen hüten?«
»Weil sie dich verführen können. Nichts ist gefährlicher als
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